Interview zur dritten Folge

mit Michael Blanck (MB), Albin Dannhäuser (AD), Gitta Franke-Zöllmer (GFZ) und Helmut Pastrik (HP)

Wiedervereinigung Teil I: Ein Blick hinter den Eisernen Vorhang

Gab es bereits vor der Wiedervereinigung Kontakte zu den Kolleginnen und Kollegen jenseits der Grenze?

HP: Nein, eigentlich nicht. Ich habe Kollegen kennengelernt, aber nicht im gewerkschaftlichen Bereich. Ich habe eine Zeit lang bundesdeutsche Kinder, meist aus Nordrhein-Westfalen, in den Ferien betreut und da waren auch immer Kollegen dabei, sodass wir uns ausgetauscht haben.

MB: Ich persönlich nicht, aber meine Frau hatte Verwandtschaft in der Nähe von Köln. Dorthin hatten wir einige lockere Kontakte.

GFZ: Wir haben natürlich dadurch, dass Niedersachsen eine lange Grenze mit der DDR hatte, immer viele persönliche Kontakte über die Grenze hinweg gehabt. So dass man mal hörte, wie es dort in den Schulen und dem System der DDR läuft.

AD: Der VBE hatte auf internationaler Ebene durchaus Kontakte. Ich erinnere mich an ein Gespräch der Bundesleitung mit der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung (GUE) im Haus des Lehrers in Berlin. Die Atmosphäre war gut, aber inhaltlich kam am Ende nicht viel dabei rum. Wir haben uns beschnuppert und wollten uns ungefähr orientieren, wer wo steht und ob es überhaupt Gemeinsamkeiten geben kann.

Wie müssen wir uns die gewerkschaftliche Arbeit in der DDR vorstellen?

AD: Unsere Kenntnisse über die Gewerkschaft Unterricht und Erziehung waren sehr begrenzt. Die GUE war ein Filialbetrieb der SED, die Vorsitzende Labs eine eiserne SED-Lady und die Apparatschiks saßen in den Schulen.

HP: Im FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) gab es die Sparte Erziehung und Wissenschaft. Hier war ich organisiert und war auch in der Revisionskommission tätig. Der FDGB hatte Ferienheime, an die man nur rankam, wenn man Mitglied war.

MB: Der Gewerkschaftsbegriff der DDR war nicht der, den man in den übrigen Bundesländern oder auch international lebte. In dem Moment, wo man ins Berufsleben einkehrt, wurde man Mitglied. Man hat darüber zum Beispiel Ferienplätze bekommen. Da es ansonsten keine Urlaubsmöglichkeiten gab, waren die FDGB-Erholungsheime die einzige Chance auf einen Urlaubsplatz. Ansonsten hatte der FDGB die Aufgabe, kulturelle Veranstaltungen und Feiern zu organisieren. Das hatte nichts mit Arbeitskampf zu tun.

Gibt es etwas, dass Sie gerne aus den Schulen der DDR in die bundesdeutschen Schulen übernommen hätten?

MB: Das, was wir heute als Ganztagsschulen bezeichnen, hatten wir in anderen Strukturen bereits, die Schülerinnen und Schüler waren länger in der Schule. Wir hatten Horte, die angegliedert und organisiert waren. Und das sage ich jetzt natürlich als Mathe- und Physiklehrer: Im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich waren wir, glaube ich, doch um einiges voraus. Wir hatten eine viel höhere Stundenzahl als heute. In Physik beispielsweise wurden die Stunden fast halbiert.

HP: Wir hatten im Grundschulbereich wesentlich mehr Deutsch- und Mathematikunterricht. Auch in den weiterführenden Klassen, wo ich unterrichtet habe, wurden im mathematischen und naturwissenschaftlichen Bereich die Stunden gekürzt. Wir wissen, welche Folgen dies hatte, und haben es mit der Zeit wieder etwas korrigiert. Ich hätte mir gewünscht, man hätte sich zusammengesetzt und geschaut, was funktioniert in welchem System gut. Dann hätte man daraus ein System schaffen können.

AD: Ja, da gibt es einiges. Zum Beispiel eine längere gemeinsame Schule. Die DDR hatte die Einheitsschule bis zum zehnten bzw. zwölften Schuljahrgang. Wir hätten die Option gehabt, dass man Teile davon übernimmt, z.B. eine längere gemeinsame Grundschule, mindestens einschließlich sechster Jahrgangsstufe. Das ausgereifte Hortwesen hat es Frauen erlaubt, berufstätig zu sein. Die DDR war hervorragend im polytechnischen Unterricht aufgestellt. Im Westen nannten wir dies Arbeitslehre und technischer Unterricht, aber die Elemente des polytechnischen Unterrichts waren sehr ausgereift. Überhaupt waren die Naturwissenschaften und Mathematik in der DDR einsame Spitze. Ich habe außerordentlich bedauert, dass mit dem Cut der deutschen Einheit plötzlich alles abgeschnitten wurde, nur weil es den Hautgout hatte, marxistisch, leninistisch und sozialistisch zu sein.

GFZ: Es gab uns die Chance, vom dreigliedrigen Schulsystem wegzukommen, das wir hier in Westdeutschland hatten. In mancher Hinsicht bin ich zwiegespalten. Auf der einen Seite konnte man sagen, dass die Praxisanteile und die Verstärkung auf die MINT-Fächer etwas waren, was wir uns selbst gewünscht hätten und heute eigentlich noch wünschen. Wobei das in der DDR belastet war und die Praxisanteile für die Schülerinnen und Schüler in richtige Arbeit ausarteten. Es war ja kein Praktikum, wie wird das verstehen. Das gilt auch für die politische Schulung, die damit zusammenhing. Aber von der Idee her: Mehr Praxisanteile, mehr Fokus auf die MINT-Fächer und die längere gemeinsame Unterrichtszeit; ich hätte mir vorstellen können, dass wir davon einiges mitnehmen.

Eine letze Frage an die Kollegen aus der ehemaligen DDR: Warum VBE?

MB: Ich weiß, dass wir aus Mecklenburg-Vorpommern im Juni 1990 nach Weimar zum ersten und auch einzigen Kongress des sogenannten AVP gefahren sind, der zu dieser Zeit schon gegründet worden war. Dort trat auch Wilhelm Ebert vom VBE auf. Was uns wirklich gefallen hat, war, dass man nicht versucht hat, uns Vorschriften zu machen. Man hat angeboten, uns zu unterstützen. Klar hat man auch Vorschläge gemacht, aber gleich auch gesagt: Ihr entscheidet! Und das hat uns den Anstoß gegeben: Ja, hier sind wir richtig aufgehoben!

HP: Die GEW ist hervorgegangen aus der Sparte Erziehung und Bildung des FDGB und hat diese auch übernommen. Wir wollten etwas völlig Neues aufbauen. Das war nicht einfach. Zum Teil mussten wir es mit unseren privaten Mitteln realisieren. Wir waren völlig neu und natürlich hat die damalige Gewerkschaft Erziehung und Unterricht versucht, uns einzukassieren. Aber das hat nicht geklappt. Wir sind selbstständig geblieben. Ich hab immer gesagt: Solange ich da bin, wird es das nicht geben.