Interview zur ersten Folge

mit Uwe Franke

Wie alles begann? Gemeinsamer Neustart auf Bundesebene!

Wie kam es zum Zusammenschluss des „alten“ VBE mit dem BLLV und dem DLB?

Der aus den katholischen und evangelischen Lehrerorganisationen hervorgegangene VBE konsolidierte sich sehr unterschiedlich in den Landesverbänden. Sehr gut in Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Nordrhein-Westfalen, weniger gut, aufgrund seiner Ausgangslage, in den norddeutschen Gebieten und in Hessen. Dort gab es Verbindungen mit übrigen Lehrerorganisationen im deutschen Beamtenbund, wie dem Realschullehrerverband, dem Philologenverband, aber auch mit einem weiteren, kleinen Verband, dem Deutschen Lehrebund (DLB). Auf der anderen Seite war der schon damals mächtige bayrische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV), der in Bayern isoliert war und eine Basis auf Bundesebene suchte, um sich stärker Gehör zu verschaffen, auch innerhalb Bayerns. Die GEW blieb hier außen vor, da man in den Fünfzigerjahren die Erfahrungen gemacht hatte, dass dies auf Dauer nicht durchzuhalten war, weil die GEW sich stark in die Industriegewerkschaften des DGB (Anm. d. Red.: Deutscher Gewerkschaftsbund) einband und der BLLV eine unabhängige Berufsorganisation bleiben wollte.

Wie konnten die sehr unterschiedlichen Strömungen im VBE zu einem gemeinsamen Verband vereint werden?

Das frage ich mich auch. Weil es auch innerhalb des VBE Nordrhein-Westfalen zwei Flügel gab, einen progressiven und sozialdemokratisch orientierten Flügel, aber auch einen stark traditionell geprägten und der Christdemokratie zugewandten Flügel. Aber Not macht eigentlich erfinderisch in der Weise, dass der Druck innerhalb des Bundesvorstandes durch die einzelnen Landesverbände so stark wuchs, dass man sich miteinander beschäftigen musste. Es war zum Schluss 1973 eine Überlebensfrage von den Partnern, die bereit waren mit dem BLLV ein Bündnis einzugehen.

Welche Gefühle verbinden Sie mit der Gründungsveranstaltung im Herbst 1974?

Es gab gemischte Gefühle. Für uns Jüngere, nachdem wir wussten, es wird den Zusammenschluss geben, gab es auch Aufbruchsgefühle. Was mir in Erinnerung geblieben ist, sind eigentlich zwei Dinge. Einmal, dass die führenden Vertreter Wert darauflegten, dass in der Satzung und in den berufspolitischen Kernaussagen der Wertegedanke des Verbandes verankert wurde, den die Bayern mit ihrer Idee einer humanistischen Bildung und dem Bekenntnis zu den Menschenrechten einbrachten und die die traditionellen VBE-Vertreter einbrachten, durch ihr Bekenntnis zur katholischen Soziallehre und zur evangelischen Sozialethik. Dies wird im letzten Satz des ersten Paragraphen der Satzung sichtbar: „Dies schließt Offenheit für christliche Überzeugung ein“. Das war ein Satz, wo die Bayern aufgrund ihrer Auseinandersetzungen mit der CSU, die in Teilen tief im katholischen Klerus verwurzelt waren, schon springen mussten. Zweitens waren wir überrascht von der Vehemenz eines der Präsidiumsmitglieder, Frau Grete Ulischberger-Wilgeroth, die dafür stritt, dass in dem neuen Bundesvorstand mindestens die Beisitzerin-Position sichtbar durch Kolleginnen besetzt werden sollten. Dies sollte auch satzungsmäßig verankert werden, was aber erst viele Jahre später geschah.

Welche Persönlichkeiten prägten den VBE in der Zeit seiner Gründung auf Bundesebene?

Im Vordergrund haben natürlich einmal der junge neue Bundesvorsitzende aus dem Deutschen Lehrerbund der Berliner Egbert Janke und natürlich der Präsident des BLLV, der gerade als gewesener Präsident der WCOTP (Anm. d. Redaktion: heute Bildungsinternationale (BI)) noch eine große Ausstrahlung auf uns hatte. Insbesondere auch durch das Buch, was er gerade in englischer Sprache veröffentlicht hatte: The Power of Teachers. Diese Idee hat er auch während seiner Zeit als Weltlehrerpräsident vor der nationalen Pressekonferenz im Weißen Haus vertreten. Die Idee, die die Bayern vor allen Dingen wieder mit einbrachten: Wir sind verantwortlich für das öffentliche Schulwesen, für eine demokratische Erziehungsschule für alle, die hat insbesondere mich überzeugt.

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit der GEW infolge der VBE-Gründung?

Die Zusammenarbeit ergab sich immer aus der Personalvertretung, wo es im beruflichen Alltag Schnittmengen gab. Es gab sie dann nicht mehr auf der Ebene, wo es um Personalpolitik und Stellenbesetzungen ging. Aber auf der Megaebene waren dem GEW-Vorsitzenden Erich Frister ein Großteil seiner Landesverbände, vor allem in Berlin, Hamburg, Bremen aber auch in Nordrhein-Westfalen, entglitten, weil die GEW ihren gesellschaftlichen Auftrag ausgeweitet hat und sich eines gesellschaftspolitischen Anspruchs annahm. Das ging so weit, dass im West-Ost-Konflikt – wir sind ja immer noch im Kalten Krieg – ihr Profil, insbesondere durch das Engagement für Nicaragua, vielen einfachen Mitgliedern langsam nicht mehr geheuer war. Und dies auf dem Hintergrund dessen, dass wir ab 1974/75 dann ja auch die ersten großen RAF-Anschläge hatten, mit einem sehr diffusen Bekennerhintergrund.

Welche Auswirkungen hatte die Gründung des VBE auf die Verteilung der Mandate?

Wider Erwarten hatte die Auswirkung auf Bundesebene zunächst nicht das Echo, aber in den Landesverbänden. Weil es eine Konzentration der Kräfte gegeben hat. Zum einen aus dem organisatorischen Austausch heraus und vor allen Dingen auch wegen der Erfahrungen, die die großen Landesverbände mit den anderen teilen konnten. Ich selbst war an dieser Aufgabe beteiligt, da ich ab 1976 das Vertrauen des Bundesverbandes bekam, die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, Organisation und Werbung und die Personalratswahlen zu organisieren. Zusammen mit meinem Kollegen Joseph Ambrosius in Rheinland-Pfalz konnten wir die Personalratswahlen für Grund- und Hauptschule und für Sonderschulbeschäftigte für den VBE entscheiden.

Heute überschattet der Lehrkräftemangel die schulpolitischen Auseinandersetzungen. Was beschäftigte die Lehrkräfte damals?

Zunächst trieben sie die verschiedenen schulstrukturellen Entwicklungen in den Bundesländern um. Diese liefen auch auseinander, weil die CDU/CSU-geführten Bundesländer innenpolitisch als Reflex auf die Ostpolitik der sozialliberalen Bundesregierung einen Kontrapunkt setzen wollten. Man sprach von den A-Ländern und den B-Ländern. Die B-Länder unter den Scharfmachern Helmut Kohl und vor allen Dingen Franz-Josef Strauß, nahmen sich die Bildungspolitik als das Feld an, wo sie eine totale Blockade setzten.

Später, in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre, kippten die Themen um, weil sich nach den Babyboomern abzeichnete, dass man zu viel Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet hatte. Ein Lösungsansatz kam aus der Finanzministerkonferenz. Diese wollte jetzt, dass die Grundschullehrkräfte herabgestuft werden, insbesondere Frauen. Man hört hier heraus, was bis heute die Absicht dieser Männerriege war: Frauen in der Bildungspolitik, wie später auch in den sozialen Berufen, sollten der zweite, etwas billigere Markt sein. Dies war für den VBE der Prüfstein des Überlebens. Wenn er hier auseinanderbrach, indem man sagte, die Hauptschullehrer kriegen demnächst A12 und dann später im Aufstieg A13, die Grundschullehrer bleiben bei A11, wäre das ein Bruch, nicht nur mit der Tradition, sondern auch mit den satzungsgemäßen Aufgaben. Hier ist es Verdienst von Egbert Janke und anderen, dass sie in einem Grundschulgutachten nachgewiesen hatten, dass die Profession der Grundschullehrerin sich durch nichts von den übrigen Lehrämtern unterscheidet. Ich denke, es ist Mitverdienst des VBE und der damaligen Bundesleitung, dass es zu einem Moratorium gekommen ist.