Interview zur fünften Folge
mit Michael Blanck (MB), Albin Dannhäuser (AD), Gitta Franke-Zöllmer (GFZ) und Helmut Pastrik (HP)
Wiedervereinigung Teil III: Erste gemeinsame Hindernisse und ein Blick nach vorne
Mit welchen bildungspolitischen Herausforderungen war der VBE in der Zeit nach der Wiedervereinigung konfrontiert?
MB: Wir mussten in den 90er Jahren erstmal Strukturen und Voraussetzungen schaffen. Dann kamen die ersten Kündigungswellen, die uns hart getroffen haben. Lehrkräfte wurden ja aus den verschiedensten Gründen gekündigt. Da war ein Großteil unserer Mitglieder dabei, und wir brauchten Unterstützung, auch aus den anderen Ländern. Das war nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine rechtliche Frage. Mit solchen Prozessen hatten wir ja vorher gar nichts zu tun. Wir hatten unsere Konflikte vor Ort, die wir lenken mussten, und die wurden nie weniger. Es wurden eigentlich immer mehr, was letztendlich zu bewerkstelligen war. Besonders die Anerkennung der Ausbildung war ein Problem. Es gab bei uns nicht die unterschiedlichen Phasen. Diese Ausbildung war komplett anders und das bedeutet, dass sie in vielen westdeutschen Ländern nicht anerkannt wurde. Obwohl – und da sind wir bis heute sehr dankbar – sich die damalige Kultusministerin aus Mecklenburg-Vorpommern, Steffie Schnoor, als KMK-Präsidentin für die Anerkennung der ostdeutschen Abschlüsse sehr stark eingesetzt hatte und es auch durchgesetzt hat. Aber das klappte noch lange nicht in den westdeutschen Ländern, obwohl die KMK es umgesetzt hat. Viele Lehrkräfte, die in den Westen gegangen sind, mussten ihr Referendariat nachholen, obwohl sie teilweise schon zehn Jahre im Beruf waren. Das war natürlich absurd und das hat keiner verstanden. Diese Regelung hatte auch sehr lang Bestand. Sodass wir, muss man fairerweise sagen, uns um die bundesweiten Probleme weniger kümmern konnten.
GFZ: Wenn man den Blick auf die neuen Bundesländer richtet, war die Situation um die Lehrkräfte und die Lehrerbildung problematisch. Besonders die Unterstufenlehrkräfte haben uns stark beschäftigt. Das waren ja auch die Mitglieder, die der VBE in den neuen Bundesländern hatte. Die Nichtanerkennung ihrer Ausbildung hier in Westdeutschland war ein großes Problem. Wir haben sehr viel Arbeit da reingesteckt, um bei den Regierungen bis auf die Bundesebene dafür zu sorgen, dass hier eine Anerkennung erfolgte oder länder-spezifisch eine Nachqualifizierung zu erwirken, um die Anerkennung zu erreichen. So konnten die Unterstufenlehrkräfte nach und nach in den verschiedenen Bundesländern auf verschiedenen Ebenen in den Unterricht der Grundschulen eingebunden werde.
HP: Eine Herausforderung war, dass es bereits eine Gewerkschaft gab. Die haben anfangs natürlich versucht, uns Steine in den Weg zu legen, die wir aber immer ausgeräumt haben. Wir haben lange gebraucht, bis wir die Anerkennung aus dem Ministerium erreichten, bzw. bis der VBE auch entsprechend anerkannt wurde. Das waren manchmal harte Kämpfe. Auch immer noch 2010, als ich als Landesvorsitzender angefangen habe. Aber wir haben es geschafft. In der ersten Zeit, als wir VBE waren und überführt wurden, wurde ich oft gefragt: Bringt es etwas sich zu engagieren? Ich sage: Ja! Für mich war das Paradebeispiel 1990 im Sommer, da ging es um das Lehrergleichstellungsgesetz. Das war die größte Demo, die wir jemals als Lehrer in Ost und West zusammen organisiert haben. Wir waren, glaube ich, 35 oder 38.000 Lehrer, die mit Sonderzügen nach Berlin gefahren sind und dort haben wir das Lehrergleichstellungsgesetz auf der Straße erkämpft. Da hat Wolfgang Thierse noch besprochen und hat uns zugesichert, das weiterzugeben. Und wir haben es geschafft, das Lehrergleichstellungsgesetz wurde danach beschlossen.
Im November 1993 sollte Wilhelm Ebert im Amt bestätigt werden. Kurz darauf hatte der VBE einen neuen Bundesvorsitzenden. Was war passiert?
AD: Also zum einen war der VBE auf einen Führungswechsel überhaupt nicht vorbereitet und durch die neuen Landesverbände noch nicht so weit konsolidiert, dass man hätte sagen können: Es gibt einen Neuanfang. Deswegen waren wir im BLLV der Meinung, Wilhelm Ebert könnte diese herausfordernde Phase noch mitgestalten und man könnte dann den Wechsel langsam vorbereiten. Deswegen habe ich ihn auch im Auftrag des BLLV vorgeschlagen. Dass er nicht die erforderliche Mehrheit bekommen hat, war für uns zunächst ein Schock und wir waren auch im ersten Moment völlig ratlos. Aber das hätten wir gar nicht sein müssen. Es hatte sich im Vorfeld abgezeichnet, dass manche Landesverbände meinten, Wilhelm Ebert sei dann 70 Jahre alt, und in diesem Alter wäre es eigentlich angemessen, wenn ein Generationenwechsel käme. Wir haben dann Krisensitzung abgehalten, zunächst in der Bundesleitung, dann die Landesverbände, dann einige Landesverbände gemeinsam. Ich wurde mehrfach aufgefordert zu kandidieren. Das habe ich abgelehnt, weil der BLLV eine extreme Herausforderung gewesen ist in dieser Zeit. Ein Doppelmandat voll auszufüllen, das wäre vermutlich nicht gelungen. Und dann kamen wir insgesamt zum Ergebnis: Es muss einer aus einem großen Landesverband sein. Ludwig Eckiger war ja schon Jahre erster Vizepräsident des BLLV und hatte auch im VBE Mandate inne, als Referatsleiter und im Internationalen. Er war kein unbeschriebenes Blatt. Das war dann die Lösung und er wurde ja auch überwältigend, nahezu einstimmig gewählt.
Was braucht der VBE für die kommenden 50 Jahre?
GFZ: Ich wünsche dem VBE, dass er so verlässlich bleibt, wie er jetzt ist, dass er die Themen der Zeit erkennt, dass er weiterhin für die Rechte seiner Mitglieder streitet und dass er sich für eine demokratische Erziehungsschule einsetzt.
MB: Wir müssen verlässlich bleiben, aber auch fordernd gegenüber der Politik, was die Bildung in diesem Land betrifft. Bildung ist immer die erste Voraussetzung für die Demokratie, besonders angesichts der derzeitigen Angriffe auf die demokratische Grundordnung. Weiterhin glaube ich, dass sich der VBE für alle Schulformen öffnen muss. Es wird uns stärken, wenn wir die Lehrkräfte aller Schulformen miteinander verbinden können. Das zeigt sich bei uns im Landesverband und ist etwas, das wir im Vergleich zu unserer Konkurrenz in die Waagschale werfen können.
AD: Ich denke, eine Hauptaufgabe des Verbandes Bildung und Erziehung ist es, die Bedeutung von Bildung und die Bedeutung der pädagogischen Berufe bewusst zu machen. Bildung ist für jedes einzelne Kind hochbedeutsam, aber auch für die Gesellschaft und das globale Verständnis überhaupt. Lehrerinnen und Lehrer, alle Pädagoginnen und Pädagogen müssen nicht nur professionell ausgebildet sein, sondern auch entsprechend anerkannt werden. Ich denke, der VBE kann noch sehr viel tun, um das Selbstverständnis und das Bewusstsein der Lehrerschaft zu stärken.
HP: Auf keinen Fall in irgendeinem Bereich nachlassen. Immer an die Grundzüge und Grundgedanken des VBE und vielleicht auch an ein paar Aspekte, die wir in der Wendezeit mit dazu gebracht haben, die uns geformt haben, denken. Und dieser Zusammenhalt – auf den habe ich immer Wert gelegt, auch im Bundesvorstand – der ist wichtig. Wenn der nicht da ist, dann bröckelt es irgendwo. Das sollten wir uns auf jeden Fall für die nächsten 50 Jahre immer auf die Fahne schreiben.