Interview zur vierten Folge

mit Michael Blanck (MB), Albin Dannhäuser (AD), Gitta Franke-Zöllmer (GFZ) und Helmut Pastrik (HP)

Wiedervereinigung Teil II: Neue Wege – Landesverbände im Aufbau

Wie sahen die ersten Schritte beim Aufbau der neuen VBE Landesverbände aus?

MB: Schon im Herbst 1989 sind meine Frau und ich aus dem FDGB ausgetreten. Wir haben dann davon gehört, dass es eine Initiativgruppe zur Gründung einer neuen Gewerkschaft gibt. Und das war auch der erste Kontakt, den wir hatten. Bereits im Dezember 1989 hat sich in Neubrandenburg eine Initiativgruppe getroffen. So sind wir auch unter der Anleitung von Günther Lindhorst, der als Landesvorsitzender mein Vorgänger war, schnell in Kontakt gekommen. In Mecklenburg-Vorpommern wurde dann, obwohl es das Bundesland noch gar nicht gab, im März 1989 schon der Landesverband gegründet. Mecklenburg-Vorpommern lag ja nicht so zentral. Es war ja nicht mal so, dass die Lehrkräfte zu Hause ein Telefon hatten. Wir mussten dann über die Schulen gehen, die auch verunsichert waren. Ebenso wie die Schulleitungen. Trotzdem konnten wir das Schultelefon benutzen, um in Verbindung zu bleiben. Wir waren dankbar für die Unterstützung, die wir bekommen haben. Vor allem aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Berlin. Dietrich Schäfer war einer der besten Unterstützer. Aber selbst aus Rheinland-Pfalz: Herbert Reichertz war mehrmals in Mecklenburg-Vorpommern und hat uns Hinweise und Tipps gegeben.

GFZ: Wir haben immer Kombinationen gewählt. Niedersachsen war zum Beispiel für Mecklenburg-Vorpommern zuständig. Dann haben wir die Länder speziell unterstützt. Von der Bundesleitung her hatte ich meinen Kollegen Herbert Reichert aus Rheinland-Pfalz. Der fuhr morgens in Rheinland-Pfalz los, holte mich bei Bremen ab, dann sind wir nach Mecklenburg-Vorpommern reingefahren, bis an die Müritz, nach Schwerin und noch weiter. Dort haben wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen getroffen und sind dann abends wieder zurück. Wir waren ja noch im Arbeitsprozess. Ich hatte am nächsten Tag wieder Schule. Das haben wir über eine lange Zeit mindestens einmal im Monat gemacht.

HP: Im Januar 1990 gab es in Berlin ein Treffen interessierter Kollegen. Da war ich auch. Wir haben uns im ehemaligen Haus des Lehrers getroffen und über die Bildung einer neuen Gewerkschaft diskutiert, da wir uns allein gelassen fühlten. Dort haben wir praktisch den Grundstein für den AVP gelegt, der dann im Mai gegründet wurde. Dann kamen auch die ersten Kontakte mit Kollegen aus dem VBE. Ich hatte als Erstes Kontakt mit Kollegen aus Hildesheim, z.B.: Alfons Vogler, Ottmar Borst und Gitta Zöllmer. Etwas später kamen die Kontakte nach Nordrhein-Westfalen, wie Udo Beckmann und Uwe Franke. Wir sind auch anfangs oft nach Hildesheim hingefahren und haben uns dort beispielsweise Schulungen über Personalräte angeschaut. Dann habe ich hier im Kreis die Bildung des ersten Personalrates mit angekurbelt. Wir haben damals im Bildungsbereich drei Bundesländer und ihre Strukturen kennengelernt. Sie haben uns damals beim Aufbau wirklich sehr geholfen. Ich denke mal, das haben wir auch Dank der Unterstützung ganz gut hinbekommen. Es hat aber auch Spaß gemacht. Wir haben auch das Gesellige nie vergessen.

AD: Wir haben uns bereits Anfang Januar mit Kolleginnen und Kollegen aus Thüringen getroffen. Zum Beispiel mit Rainer Morgenroth, der einige Personen aus dem Neuen Forum und der evangelischen Kirche mitgebracht hat. Natürlich war unsere Stimmung im Westen euphorisch. Nur bei den ersten Begegnungen war ganz erstaunlich, wie nüchtern und rational alles ablief. Im Zentrum stand: Weg von der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung, weg vom Marxismus-Leninismus, weg von der Kommandopädagogik, vom Dirigismus weg. Wir wollten freie, demokratische, unabhängige Organisationen gründen. Wohlgemerkt in der DDR. Dass die Wende so schnell kommt, ist für uns nicht vorhersehbar gewesen. Es war vieles Neuland. Wie sieht die Struktur eines Landes- oder des Bundesverbandes aus? Wie sind unsere Satzungen? Was gehört in ein Schulgesetz? Was ist ein Personalvertretungsgesetz? Sie wollten viele Details wissen. Wir haben dann Seminare angeboten. Schulungs- und Informationsseminare mit Verbandsfunktionären von unserer Seite, aber auch mit Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern. Dann haben wir auch erste Kontakte zu späteren Politikern geknüpft, die aus der DDR kamen. Ich nenne nur den späteren Ministerpräsidenten Althaus aus Thüringen. Der war bei uns ein Mann der ersten Stunde und wollte wissen, wie das im Westen so läuft.

Welche Rolle spielten die Bundesvorsitzenden Wilhelm Ebert und Ludwig Eckinger im Vereinigungsprozess des neuen VBE?

MB: Wilhelm Ebert habe ich in Weimar kennengelernt. Mir hat die Art und Weise gefallen, wie man versucht hat, uns auf Augenhöhe zu begegnen und dann wirklich auch zu behandeln und zu betrachten. Das war natürlich für uns sehr positiv. Ansonsten habe ich ihn noch erlebt, nachdem ich 1992 in den Landesvorstand gekommen bin. Als stellvertretender Landesvorsitzender war ich mit bei den Bundeshauptvorstandssitzungen, wo ich ihn am Rande kennengelernt habe. Ludwig Eckinger konnten wir des Öfteren begrüßen. Er hat natürlich immer wieder Impulse gesetzt und seine Redebeiträge, die er z. B. auf unseren Verbandstagen gehalten hat, oder im Austausch mit Politikern. Das war für uns eine tolle Unterstützung.

HP: Ich habe beide als hervorragende Pädagogen kennengelernt. Mit viel Wissen und Engagement für alles, was Bildungspolitik betraf. Ich habe mir einiges abgeschaut und versucht das umzusetzen. Sie haben uns eine Menge Argumente an die Hand gegeben. Wenn wir eine Veranstaltung hatten, wurden wir oft gefragt: Wie macht ihr das? Wie schafft ihr das? Können wir euch helfen? Dann hat man immer konkrete Hinweise bekommen. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass wir nicht gleichwertig waren. Also im VBE auf keinen Fall.

GFZ: Wilhelm Ebert war sehr offen gegenüber dem Neuen, was da auf uns zukam. Er konnte aber eigentlich nur auf dem aufbauen, was auf der mittleren und unteren Ebene schon stattgefunden hatte. Das heißt, dass die Bundesebene erst sehr viel später, zu den Verhandlungen zwischen AVP und VBE Bund, in Aktion getreten ist, was die Wiedervereinigung betraf. Hier hatte auch der Bundesvorsitzende eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Da war Ebert sehr aufgeschlossen und hatte durch seine weltweiten Kontakte einen guten Zugang, zum Beispiel zu den Wissenschaften. Er war immer daran interessiert, auch auf seiner Ebene mit den Kollegen in Kontakt zu kommen und uns zusammenzubringen. Das waren immer spannende Treffen. Da hat er eine Menge geleistet.

AD: Ludwig Eckinger hatte eine ganz bedeutende Rolle beim Zusammenwachsen des VBE. Mit sehr viel Fingerspitzengefühl ist er auch auf alle Fragen, Bedürfnisse und Befindlichkeiten eingegangen. Er hat immer gesagt: Wir müssen Steine hinwegräumen, die Mauern einreißen, auch die inneren Mauern. Wir haben ein gemeinsames Berufsverständnis. Das war sein absolutes Credo. Er hatte die neuen Landesverbände nicht nur mitgenommen, sondern sie auch in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt.