Interview zur zweiten Folge
mit Hjalmar Brandt
Die 80er: Bildungsgewerkschaft in einem geteilten Land
In der ersten Folge haben wir uns über den Neustart des VBE und die ersten Herausforderungen unterhalten. Wie ging es für den VBE in den 80er Jahren weiter?
Ich habe mit dem VBE seit Anfang der Achtzigerjahre zu tun. Ich habe dort begonnen, als Helmut Kohl in Bonn als Kanzler anfing und das war gleichzeitig Programm, da die neue CDU/FDP-Regierung auch versucht hat, in der Bildungspolitik sehr viel zu verändern. Das war natürlich für den VBE eine Herausforderung, weil es der Regierung Kohl auch darum ging, den bildungspolitischen Bereich auf Bundesebene zu reduzieren. Die damalige Bildungsministerin Dorothee Wilms hatte es sich quasi zum Ziel gesetzt, den Bildungsbereich im Bund möglichst weit runterzufahren. Unterstützt auch noch von ihrem Staatssekretär Piazolo. Der kam aus Baden-Württemberg und hatte auch einen entsprechenden Länderhintergrund. Dagegen kämpfte der VBE dann an, um den bildungspolitischen Bereich auf Bundesebene einigermaßen stabil zu halten. Und ich denke auch, dass es ihm gelungen ist. Das Bildungsministerium bestand weiterhin und es war auch weiterhin aktiv.
In einem Portrait der FAZ wurde Wilhelm Ebert als „nicht schwarz, nicht weiß, nicht rot" beschrieben. Er sei eine „vagabundierende Kraft in grau", die besticht und beunruhigt. Wie hat er den VBE in dieser Zeit geprägt? Welche anderen Akteure sind Ihnen aus dieser Zeit besonders in Erinnerung geblieben?
Wilhelm Ebert hatte einen sehr klaren Stil. Wilhelm Ebert wollte unabhängig sein. Er hat in der Bildungspolitik so agiert, wie viele Journalisten eigentlich agieren sollten. Es gibt diesen Grundsatz, sich nicht mit einer Sache gemein machen. So ähnlich hat er das auch in der Bildungspolitik umgesetzt und somit auch die Unabhängigkeit des VBE gestärkt. Der VBE sollte eben keine Lehrerorganisation sein, die irgendeine Parteinähe hat, obwohl dem VBE dann immer auch zum Beispiel eine Nähe zur CDU zugeschrieben worden ist, insbesondere in den Ländern. Genau das sollte nicht sein und deswegen war Ebert immer unabhängig und darauf hat er größten Wert gelegt.
Er war in der bildungspolitischen Szene damit mit Sicherheit eine ganz besondere Figur. Es gibt mehrere Portraits über ihn in Zeitungen. In Bayern gab es auch mal etwas ähnliches wie seine „Zehn Gebote der politischen Aktivitäten”. Aber Wilhelm Ebert war ein Netzwerker. Er hatte unheimlich viele Kontakte und er hatte vor allem auch eine riesige internationale Erfahrung. Die hatte er in die Arbeit für den VBE eingebracht. Und der VBE hat davon sehr profitiert. Also wenn man mit Ebert damals durch die Lobby im Bundestag in Bonn gegangen ist, blieb er ständig stehen, weil er irgendjemanden kannte. Und das ist dem VBE natürlich sehr zugute gekommen. Wilhelm Ebert war nicht zufrieden damit, dass er es nur mit Abgeordneten zu tun hatte. Er wollte die Spitzenleute, und die kannte er zum Teil aus seiner bayerischen Heimat. Damals spielte ja zum Beispiel Hans-Jochen Vogel auf Bundesebene eine große Rolle und zu ihm hatte er einen sehr guten Kontakt, aber auch zu vielen andern. Er war ohne Zweifel in der Bundesleitung des VBE die dominierende Person. Assistiert von dem damaligen Bundesgeschäftsführer Albin Dannhäuser, der ihm in Bayern als Präsident nachgefolgt ist. Aber es gab natürlich auch andere Personen, die auf Bundesebene sehr aktiv waren und dann auch ihre Aufgaben hatten. Ich denke zum Beispiel an Uwe Franke aus Nordrhein-Westfalen. Ich denke an Hans Bähr aus Rheinland-Pfalz, der auch sehr viel im internationalen Bereich tätig war und auch das mit eingebracht hat. Damals ist auch Gisela Lindemann in die Bundesleitung gewählt worden. Es gab aber auch viele Themen, die man sich aufteilte, aber alles lief letztendlich bei Wilhelm Ebert zusammen. Er war jemand, der aufgrund seiner internationalen Erfahrung den Überblick hatte. Das hat ihm gerade bei seinen politischen Diskutanten sehr viel Respekt eingebracht und das spiegelt eigentlich das Zitat, was Sie eingangs gebracht haben, sehr gut wider. Er war auf der einen Seite sehr sympathisch, sehr offen und auf der anderen Seite auch ein bisschen unheimlich, weil er so häufig über den Dingen schwebte. Daher war er manchmal für seine Diskutanten nicht so richtig greifbar. Für den VBE war das nur ein Vorteil.
Mit Björn Engholm, Dorothee Wilms und Jürgen Möllemann gab es drei unterschiedliche Personen an der Spitze des Bundesbildungsministeriums. Wer war am empfänglichsten für die Ideendes VBE?
Also von den drei genannten, mit Sicherheit Björn Engholm. Das Verhältnis zwischen Ebert und Engholm war sehr gut. Ich hab das hinterher zum Teil an den Bildern gesehen, die man dann noch sich ansehen konnte. Dorothee Wilms hatte, wie ich schon beschrieben habe, mehr oder weniger den Auftrag, das Ministerium abzuwickeln. Offiziell war das natürlich nicht der Auftrag, aber das wurde so interpretiert. Wir haben Gespräche mit ihr geführt, aber eine enge Kooperation gab es nicht. Die gab es dann eher mal auf Staatssekretärsebene. Aber das Verhältnis zum ersten Kabinett Kohl war doch eher distanziert. Jürgen Möllemann war dann wieder ein ganz anderes Kaliber. Erstens war Jürgen Möllemann Lehrer und hatte somit den Background. Jürgen Möllemann wusste sofort, dass man in der Bildungspolitik durchaus auch politisch etwas werden kann und er war ein sehr dynamischer Politiker, der wusste wie er agieren musste, um wahrgenommen zu werden. Das erste, was er dann auch gemacht hat, war, dass er sich zu bildungspolitischen Themen geäußert hat, die eigentlich nur die Länder regeln und hat damit sofort die Länder gegen sich aufgebracht. Die gesamte KMK und zwar egal welche Partei. Aber damit hatte er die volle Aufmerksamkeit. Wir haben mit ihm sehr gut zusammengearbeitet, ihn öfter besucht und Gespräche mit ihm gehabt. Wir hatten damals den Eindruck, dass Möllemann absolut professionell war. Er war ein sehr klarer Machtpolitiker. Was er nach dieser Durststrecke unter Frau Wilms vor allem gemacht hat: Er hat das Ministerium wieder hochgezogen, hat die Leute befördert. Auch die Leute, die aus der FDP im Ministerium waren. Das Bildungsministerium ist einmal eine Gründung der sozialliberalen Koalition gewesen, insbesondere von SPD- und FDP-Leuten. Es gab in der FDP ein sehr progressives Bildungslager. Carola von Braun-Stützer ist da ein wichtiger Name. Diese Leute hat er alle hochgezogen und das hat dem Bildungsministerium wieder mehr Selbstvertrauen gegeben und damit der Bildungspolitik auf Bundesebene insgesamt.
Gab es bereits vor der Wiedervereinigung Kontakte zu den Kolleginnen und Kollegen aus der DDR? Wie wurde das Schulsystem jenseits des eisernen Vorhangs reflektiert?
Meines Wissens nach, im Prinzip nicht. Wenn es Kontakte gab, dann über die internationalen Organisationen. Natürlich haben wir das DDR-System als solches reflektiert. Wir wussten was da tatsächlich passiert, aber es hat für unsere Politik im Westen eigentlich keine große Rolle gespielt. Das fing natürlich sofort an, als es dann zur Deutschen Einheit kam und die kam für alle ja völlig überraschend.