Gesundheit & Zufriedenheit Digitalisierung

Unterricht, Bildung und Erziehung vor, während und nach Corona

veröffentlicht am 3. Dezember 2021


Die Coronapandemie hat alles verändert, ganz besonders im Bildungsbereich. Innerhalb kürzester Zeit musste vom gewohnten Unterricht auf Distanzlernen umgestellt werden und später dann Stück für Stück im Hintergrund sich ständig wechselnder kultusministerieller Vorgaben zu einem neuen Präsenzbetrieb zurückgekehrt werden. Dies geschah in einer Situation, in der die digitale Infrastruktur an den deutschen Schulen größtenteils noch eine riesige Baustelle war. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie hatten und haben im Bildungssektor massive hochproblematische Folgen, nicht nur bezogen auf den Lernprozess, sondern auch auf die psychische und die physische Gesundheit. Mit diesen Folgen werden wir noch lange zu kämpfen haben.

Auch wenn es mancherorts Erfolge zu verbuchen gab, ist die Bilanz ernüchternd. Die Gesundheitsprobleme zahlreicher Kinder und Jugendlicher nahmen zu, viele kamen mit dem Lernen Zuhause auf Dauer nicht gut zurecht und die in Deutschland vorhandene Schere zwischen Arm und Reich wirkte sich in dieser Zeit nochmal ganz besonders stark auf die Situation der Schülerinnen und Schüler aus. Die Lehrerinnen und Lehrer haben sich große Mühe gegeben und starken Einsatz gezeigt, um aus der herausfordernden Situation das Beste zu machen. Ohne entsprechender Vorerfahrungen im Bereich des Distanzlernens und ohne eine solide infrastrukturelle Grundlage sowie im Hintergrund uferloser Bürokratie waren sie vielerorts auf verlorenem Posten. Im bildungspolitischen Vordergrund standen nicht etwa das wirksame Lernen oder die sozial-emotionalen und die körperlichen Bedürfnisse, sondern virologische, epidemiologische und hygienische Perspektiven, die Bildung ‚steril‘ zu machen versuchten – mit Erfolg.

Die Beschäftigung mit gesundheitspolitischen Fragen war selbstverständlich wichtig, aber diese Fragen sind eben nicht alles. Ja, es braucht Hygienekonzepte. Ja, es braucht maximale Sicherheit im Schutzraum Schule sowohl für die Schülerinnen und Schüler als auch für die Beschäftigten. Noch wichtiger als diese Fragen sind jedoch die pädagogischen Fragen, denn technische Lösungen sind wertlos, wenn sie nicht pädagogisch sinnvoll nutzbar sind. Die Corona-Pandemie warf deshalb auch Fragen auf: Welches Verständnis haben wir von Schule? Was ist das Ziel von Bildung? Was ist guter Unterricht? Wir Lehrerinnen und Lehrer haben Antworten auf diese Fragen.

Schule ist mehr als kognitiver Wissenserwerb

Die Corona-Pandemie hat eines am deutlichsten gezeigt, und zwar wie wichtig nicht nur der Lern-, sondern auch der Lebensort Schule ist. Neben dem Kompetenzerwerb ist der Ort Schule auch ein Ort zur Förderung der körperlichen Gesundheit und des sozial-emotionalen Wohlbefindens. Die Schule ist ein wichtiger Faktor zur Salutogenese von Kindern und Jugendlichen. Vor der Corona-Pandemie ist dieser zentrale Aspekt von Schule bereits häufig zu kurz gekommen und nun besteht die Gefahr, dass dieser auch nach Corona wieder zu kurz kommt, wenn der Fokus allein auf das ‚Aufholen‘ fachlich-kognitiver Kompetenzen gelegt wird. Die sozial-emotionale Entwicklung und die Körperlichkeit müssen in Zukunft als Kern pädagogischer Bildungsarbeit anerkannt werden. Es braucht deshalb keinen Wegfall, sondern eine Aufwertung der sogenannten ‚Randfächer‘ Kunst, Musik, Sport etc. und mehr Zeit und Raum zur Förderung der individuellen Entwicklung auf sozial-emotionaler, kognitiver und körperlicher Ebene. Dazu gehört auch die Einsicht, dass die Menge an fachlichen primär kognitiv zu vermittelten Inhalten überdacht werden muss. Der Erwerb von Schlüsselkompetenzen muss im Vordergrund von Bildungsprozessen stehen und gezieltes Verstehen statt massenhaftem Auswendiglernen muss das Ziel sein. Dies ist auch im Sinne einer Förderung der vielerorts geforderten Zukunftskompetenzen, der Fähigkeit zur Kreativität, kritischem Denken, Kollaboration und Kommunikation.

Dazu braucht es:

  • Eine Aufwertung der Fächer Kunst, Musik, Sport, etc.
  • Eine verstärkte Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen.
  • Eine Reduktion der verpflichtend zu unterrichtenden Lehrplaninhalte durch einen Fokus auf fachliche und überfachliche Schlüsselkompetenzen.

Digitalisierungsschub – und jetzt?

Spätestens mit der Corona-Pandemie sind auch die Schulen gänzlich im Zeitalter der Digitalität angekommen. Lange Zeit wurden Digitalisierungsprozesse im Bildungskontext politisch vernachlässigt. Nun wissen wir: Lernen funktioniert nicht nur, aber eben auch digital. Dazu benötigen sowohl die Schülerinnen und Schüler als auch die Lehrerinnen und Lehrer entsprechende Medien- und medienpädagogische Kompetenzen. Dabei darf niemals außer Acht gelassen werden, dass digitale Medien nur dann sinnvoll eingesetzt werden können, wenn sie pädagogisch sinnvoll in Lehr-Lern-Kontexte eingebettet werden.

Dazu braucht es:

  • Eine stabile digitale Infrastruktur mit langfristig gesicherter Finanzierung im Bildungsbereich, inklusive technischer Administrations- und Supportstrukturen.
  • Neben geeigneter Hardware benötigt es außerdem passgenaue Softwarelösungen für die Bildungspraxis, die rechtssicher und datenschutzkonform ist.
  • Flächendeckende Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer zur Förderung der Medien- und medienpädagogischen Kompetenz.

Eigenverantwortung braucht verlässliche Freiräume & Ressourcen

Die sich ständig wechselnden kultusministeriellen Vorgaben führten an den Bildungseinrichtungen vor Ort nicht nur zu großen Unsicherheiten, sondern auch zu massiver Mehrarbeit, insbesondere im Bereich der Leitungspositionen. Dabei wurde von politsicher Seite zwar häufig betont, wie wichtig passgenaue Lösungen vor Ort sind, gleichzeitig wurden diese Lippenbekenntnisse jedoch von umfangreichen kultusministeriellen Schreiben mit kleinsten Detailvorgaben konterkariert. Es herrschte kaum Klarheit und im Hintergrund von Lehrermangel und mangelnden Ressourcen wurden die Schulen mit einer Schein-Eigenverantwortung allein gelassen.

In Zukunft brauchen die Schulen ausreichend und flexibel nutzbare Ressourcen, insbesondere im Bereich Personal. Dazu gehört auch die Ermöglichung der Arbeit in multiprofessionellen Teams. Außerdem braucht es mehr echten Freiraum zur Gestaltung vor Ort. Sowohl hinsichtlich der Gestaltung des Schullebens als auch im Bereich des Unterrichts müssen Vorgaben reduziert und Flexibilität ermöglicht werden. Dazu müssen insbesondere Schulleitungen unbedingt entlastet werden.

Dazu braucht es:

  • Mehr pädagogisches Personal.
  • Mehr Zeit für Leitungsaufgaben.
  • Mehr echte Eigenverantwortung zur flexiblen Gestaltung von Schule durch frei verfügbare Ressourcen und eine Reduktion der schul- und bildungsrechtlichen Vorgaben.

Wir müssen genau hinsehen

Während der Corona-Pandemie wurden Vergleichstests in Deutschland größtenteils ausgesetzt. Dies führte auch dazu, dass die Forschung sich schwertut, fundierte Aussagen zur Situation treffen zu können. Zudem gab es zwar unterschiedlichste Maßnahmen, diese wurden und werden jedoch in ihrer Wirksamkeit und in ihren Folgen kaum evaluiert. Um aus der Corona-Pandemie lernen zu können, braucht es eine transparente Bestandsaufnahme und Evaluation, die datengestütztes schulisches und schulpolitisches Handeln ermöglicht.

Dazu braucht es:

  • Eine flächendeckende wissenschaftliche Evaluation der bildungspolitischen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen, inklusive einer schul- und bildungspolitischen Aufarbeitung der Ergebnisse.
  • Unterstützung für Bildungseinrichtungen zur eigenständigen Evaluation der Situation vor Ort.

Professionalisierung

Der Lehrermangel führt im Hintergrund der Pandemie zu einem deutschlandweiten Trend der Entprofessionalisierung von Pädagoginnen und Pädagogen, der sich auch auf die Qualität von Bildungsprozessen auswirkt. Wir brauchen starke und mutige Lehrerinnen und Lehrer mit guten Arbeitsbedingungen, einer erstklassigen Ausbildung und starken Fortbildungsstrukturen. Daneben braucht es Unterstützungsstrukturen zur Professionalisierung pädagogischer Arbeit. Eine wissenschaftliche Evidenzbasierung pädagogischer Praxis sollte dabei stets wegweisend sein.

Dazu braucht es:

  • Ausreichend hohe Ausbildungskapazitäten zur Deckung des Lehrkräftebedarfs.
  • Eine flexible Lehrerbildung, um auf unterschiedliche Bedarfe reagieren zu können.
  • Wirksame Fortbildungsstrukturen zur Verbesserung der Qualität pädagogischer Praxis.

Bildung und Erziehung ist eine Gemeinschaftsaufgabe

Die Corona-Pandemie hat wie nie zuvor verdeutlich, wie wichtig die Eltern und der Sozialraum für den Entwicklungsprozess von Kindern und Jugendlichen ist. Schulen, die bereits vor der Pandemie gut mit Eltern kooperiert haben, kamen auch besser durch die Zeit des Distanzlernens. Schule als Lebensort ist sozialräumlich verankert und nicht isoliert. Dies muss in Zukunft verstärkt anerkannt und in der Praxis berücksichtigt werden. Maßgeblich sind hierbei immer positive Beziehungen zwischen allen beteiligten Akteuren. Werden diese vorgelebt, gelingt auch der Bildungsprozess.

Dazu braucht es:

  • Eine stärkere Berücksichtigung der Elternarbeit durch eine Schaffung entsprechender Zeitressourcen.
  • Eine Förderung von Kooperationen von Bildungseinrichtungen und anderen Akteuren vor Ort (Vereine, Behörden, Unternehmen, …).
  • Eine Förderung positiver Beziehungen zwischen allen an Schule Beteiligten.

Bildungsungleichheit hat dramatisch zugenommen

Am härtesten traf die Corona-Pandemie die Schwächsten der Gesellschaft. Familien mit Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf waren auf sich allein gestellt. Sozioökonomisch benachteiligte Familien konnten ihren Kindern nicht dieselben Lebens- und Lernbedingungen bieten, wie sozioökonomisch Bessergestellte. Die Bildungsungerechtigkeit verstärkte sich in dramatischer Art und Weise. In Zukunft darf politisches Handeln diese Tatsache nicht einfach ignorieren, sondern muss dafür sorgen, dass benachteiligte Familien aufgefangen und unterstützt werden.

Dazu braucht es:

  • Mehr Ressourcen für den Umgang mit bildungsbenachteiligten Kindern und Jugendlichen (z.B. durch einen Sozialindex).
  • Eine stärke Berücksichtigung von Faktoren sozialer Ungleichheit bei schul- und bildungspolitischen Maßnahmen (z.B. Zurverfügungstellung von geeigneten Räumen beim Distanzlernen).

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