Gesundheit & Zufriedenheit

Eckpunkte Grundschulempfehlung

veröffentlicht am 4. Dezember 2020


Der Übertritt von der Grundschule auf eine weiterführende Schule ist neben der Einschulung eines der wichtigsten Ereignisse in der Schullaufbahn von jungen Menschen. Hier werden meist schon nach der vierten Klasse Weichen gestellt, die für den weiteren Verlauf des Lebens entscheidend sein können.

Zwischen den einzelnen Bundesländern unterscheidet sich das Übertrittsverfahren teils deutlich. Nicht nur bei der Dauer der Grundschulzeit, sondern insbesondere auch bei der Verantwortlichkeit der Übertrittsentscheidung, der Vielfalt der Beratungsformen sowie dem Zeitpunkt und der Form der Grundschulempfehlung.

Die Rolle der Grundschule beim Übertritt
Um Kinder eine Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu ermöglichen, brauchen diese vor allem eines: ausreichend Zeit, sich auch entwickeln zu können. Daher geht es in der Grundschule um mehr als „nur“ um den Übertritt. Sie ist eine eigenständige Schulart und nicht nur „Zulieferer“ für die weiterführenden Schulen. Sie hat einen pädagogischen Auftrag. Die Grundschulzeit soll optimal genutzt werden, im Zentrum stehen die individuelle Förderung und Begleitung der Kinder.

Probleme des Übertrittsverfahrens
Daher ist ein Übertritt nach der vierten Jahrgangsstufe aus pädagogischer Sicht zu diskutieren. Bei einer so frühen Trennung und Festlegung des weiteren Bildungsgangs wird unnötiger Druck auf die Schülerinnen und Schüler, die Erziehungsberechtigten und die Lehrkräfte ausgeübt. Zudem ist der Übertritt in vielen Bundesländern unübersichtlich, unpädagogisch und engt den ganzheitlichen Blick auf die Schülerinnen und Schüler ein z. B. durch die Fixierung auf Notendurchschnitte in bestimmten Fächern. Das Übertrittsverfahren kommt zu früh, um die perspektivisch mögliche Entwicklung umfänglich erfassen zu können.

Wenn die Schule den weiteren Bildungsweg ausschließlich auf Basis der Noten verbindlich festlegt, entsteht ein enormer Druck auf die Kinder. Dies kann kreatives, ergebnisoffenes Lernen verhindern und die Persönlichkeitsbildung und Entwicklung von Selbstvertrauen beeinträchtigen.

Zudem wurde in wissenschaftlichen Untersuchungen und internationalen Vergleichsstudien festgestellt, dass Erfolg und Misserfolg beim Übertritt nach der vierten Jahrgangsstufe in engem Zusammenhang mit der sozialen Herkunft des Kindes stehen. In kaum einem vergleichbaren Land ist dieser Zusammenhang so gravierend wie in Deutschland.

Außerdem müssen immer auch die Möglichkeiten der weiterführenden Schulen und die Auswirkungen auf die Bildungsbiografien der Schülerinnen und Schüler im Blick gehalten werden. Dies bedeutet, dass alle Schularten in die Lage versetzt werden müssen, die Jugendlichen zu stärken und einen bestmöglichen, passgenauen Abschluss anbieten zu können – und nicht nur das Abitur zu einem wirtschaftlich erfolgreichen Leben führen wird.

Beratung durch Lehrerinnen und Lehrer - Verantwortung bei den Eltern
Die Grundschullehrerinnen und -lehrer begleiten die Kinder über viele Jahre. Sie sind die pädagogischen Experten und können die individuelle Persönlichkeitsentwicklung, die Kompetenzen und die Leistungen der Schülerinnen und Schüler genau analysieren und einschätzen. Eine kontinuierliche und qualitativ hochwertige, individuelle Beratung sowie eine unverbindliche Schullaufbahnempfehlung auf der Basis von Leistungsstand, Lernentwicklung und Berücksichtigung persönlicher Merkmale (Arbeits- und Sozialverhalten, Erkenntnisse aus Beratungsgesprächen) müssen daher fester Bestandteil von unverbindlichen Empfehlungen für die Erziehungsberechtigten sein. Für diese kontinuierliche Bewertung müssen Anrechnungszeiten für die einzelnen Lehrkräfte zur Verfügung gestellt werden.

Ob eine Empfehlung für die weitere Schullaufbahn tatsächlich nach der vierten Jahrgangsstufe erfolgen kann und sollte, ist weiter zu diskutieren. Es ist fraglich, ob zu diesem Zeitpunkt eine Prognose über die weitere Bildungsbiografie eines Kindes möglich ist.

Aktuell basiert die Übertrittsempfehlung in einigen Bundesländern ausschließlich auf den messbaren Leistungen der Schülerinnen und Schüler, meist in der 4. Jahrgangsstufe. Sie machen keine Aussage über das zukünftige Entwicklungspotenzial der Kinder. Es ist wissenschaftlich belegt, dass eine Prognose allein auf der Grundlage von kognitiven Leistungen von Zehnjährigen wenig Aussagekraft für die Einschätzung der späteren Lernpotenziale hat. Das Feedback der Lehrkräfte und deren Empfehlung müssen gemeinsam mit den Kindern und Eltern erfolgen und transparent sein.

Die Verbindlichkeit und Entscheidung des Übertritts sollte letztlich bei den Erziehungsberechtigten liegen. Grundlage für die Übertrittsentscheidung ist eine Empfehlung der abgebenden Schule. Diese wird in einem Beratungsgespräch vermittelt und basiert auf den Leistungsmessungen und der Diagnose der Lernkompetenzen. Dafür braucht es eine kontinuierliche Beobachtung der Schülerinnen und Schüler, um deren individuelle Entwicklung angemessen bewerten zu können.

Es muss Zeit für Kooperation sein
Die Übertrittsentscheidung liegt nach eingehender Beratung in der Verantwortung der Eltern. In die Entscheidung der Eltern müssen auch die aufnehmenden Schulen einbezogen werden. Um die Qualität der Beratungsangebote zu sichern, muss die Diagnosekompetenz der Lehrkräfte aller beteiligten Schularten weiter gestärkt werden. Auch die Kooperation zwischen abgebenden und aufnehmenden Schulen und die gegenseitige Kenntnis übereinander bedürfen einer erheblichen Vertiefung. Die Kooperationsangebote zwischen Grund- und weiterführenden Schulen müssen gestärkt werden. Dafür bedarf es an beiden Schulen institutionalisierter Kooperationszeiten.

Sofern vorhanden, ist die Kompetenz der qualifizierten Beratungslehrkräfte unter angemessener Anrechnung des Aufwandes für die Übertrittsberatung zu nutzen.

Die Forderungen des VBE sind:

  1. Bestehende Probleme im Übertrittsverfahren auflösen:
    • ganzheitlichen Blick ermöglichen
    • Notendruck durch individuelle Bewertungsverfahren abmildern
    • Abhängigkeit des höchsten Abschlusses vom sozialen Hintergrund auflösen
    • Stärkung aller Schularten
  2. Basis der Übertrittsentscheidung ist kontinuierliche und qualitativ hochwertige, individuelle Beratung sowie unverbindliche Schullaufbahnempfehlung auf der Basis von Leistungsstand, Lernentwicklung und Berücksichtigung persönlicher Merkmale
  3. Anrechnung und Bereitstellung von Beratungs- und Kooperationszeit für die Lehrkräfte der abgebenden und aufnehmenden Schulen
  4. Verbindliche Entscheidung durch Erziehungsberechtigte

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