Integration

Auseinandersetzung mit der Geschichte Deutschlands fördern - Erinnerungskultur leben

veröffentlicht am 3. Dezember 2021


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Es gibt ernstzunehmende Entwicklungen in Deutschland, denen wir entschieden entgegentreten müssen. So beobachten wir mit großer Sorge, dass Verschwörungstheorien an Aufwind gewinnen, in deren Fokus auch immer wieder jüdische Personen stehen. Zudem werden die momentan notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen in Methoden zur Drangsalierung umgedeutet, bis hin zu Vergleichen mit dem NS-Regime und dem Widerstandskampf. Das ist nicht nur pietätlos, sondern ein Vergehen an den Opfern des Nationalsozialismus. Der Verband Bildung und Erziehung positioniert sich klar gegen diese zelebrierte Geschichtsvergessenheit und verurteilt entsprechende Vereinnahmungsversuche.

Doch auch schon vor der aktuellen Krisenlage häuften sich die Berichte über antisemitische Vorfälle. Zudem wird sich in der Gesellschaft immer wieder mit der Frage beschäftigt, welchen Stellenwert und Raum eine Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen in der Schule haben sollte. Und nicht zuletzt schauen wir mit Erschrecken auf das Ergebnis der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur, wonach nur 55 Prozent der erwachsenen Deutschen mindestens einmal ein ehemaliges Konzentrationslager besucht haben. Aus diesen Gründen machte der Verband Bildung und Erziehung (VBE) zum 76. Jahrestag der Befreiung von Ausschwitz am 27. Januar 2021, der auch als Internationaler Holocaust Gedenktag bekannt ist, darauf aufmerksam, dass Bildung gegen Extremismus unerlässlich ist.

Warum eine Pädagogik des Erinnerns?
Lehrkräfte sind gefordert, Schülerinnen und Schüler dabei zu unterstützen und zu ermutigen, sich zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern mit einem positiven Demokratieverständnis zu entwickeln. Durch die Auseinandersetzung mit auch konfliktbehafteten Themen und dem Reflektieren über moralische Fragen entwickeln sie idealerweise eine aufgeklärte Persönlichkeit. So werden sie immun gegen extremistische Ansichten.

Zu einer Kultur des Erinnerns gehört für den VBE auch, dass die Stätten des Grauens, insbesondere Gedenkstätten von Konzentrations- und Arbeitslagern besichtigt werden. Denn es macht einen ganz besonderen Eindruck, an diesen Orten zu gedenken und die Stimmung dort auf sich wirken zu lassen. Wo immer möglich, sollte dies in der Bildungsbiografie seinen Platz haben. Dafür müssen entsprechende Besuche in den Lehrplänen festgeschrieben und entsprechende Zeiten dafür reserviert werden. Es ist aber nicht allein Aufgabe der Lehrkraft, dies zu organisieren, sondern es bedarf entsprechender Strukturen, die durch die Kultusministerien zu schaffen sind.

Für die Finanzierung eines Gedenkstättenbesuches sind ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Hierbei sind auch Mittel des Europäischen Sozialfonds und ähnlicher Strukturen durch die Länder auszuschöpfen.

Doch auch digitale Angebote können und sollten ihren festen Platz bei der Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus in der Bildungsarbeit haben.

Denn nicht nur in Zeiten der Corona-Pandemie, sondern auch im Kontext dessen, dass es immer weniger Zeitzeuginnen und -zeugen gibt, sind diese eine gute und vor allem niedrigschwellige Alternative, um die Erinnerung im Unterricht und in der Freizeit wach zu halten. Dabei ist dem VBE wichtig, den Zugang zur Erinnerungskultur möglichst vielen Menschen zu ermöglichen. Beispielsweise Kindern mit Migrationshintergrund, die die deutsche Geschichte nicht unbedingt als ihre eigene empfinden oder auch jüngeren Kindern, die ein Gedenkstättenbesuch überfordern würde. Die Möglichkeiten für Lehrkräfte, einfachere Zugänge zu finden, und kreative Angebote umzusetzen, sind zahlreich.

Besonders hinweisen möchten wir auf das Projekt unseres VBE Landesverbandes in Bayern, dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband BLLV, mit dem Forum „Erinnern“ (www.forum-erinnern.de). Es versteht sich als Serviceangebot für historisch-politische Bildungsarbeit zur Geschichte des Nationalsozialismus und bietet Lehrkräften und anderen Bildungsinteressierten Orientierungshilfe in der bayerischen Erinnerungskultur.

Im digitalen Raum finden sich viele weitere Angebote. So kann man beispielsweise Anne Franks Tagebuch als fiktionale Serie auf YouTube ansehen oder einen virtuellen Rundgang in ihrem Versteck machen. Museen, etwa das Jüdische Museum Berlin, laden Kinder ab drei Jahren zu Mitmachaktionen ein. Persönliche Geschichten einzelner Menschen können über die sogenannten Stolpersteine oder das Projekt „Zweitzeugen“ recherchiert und erzählt werden. Täglich die Erinnerung wach halten kann man mit dem Twitterkanal der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Zudem ist 2021 das Jahr, in dem verschiedene Kultureinrichtungen 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland feiern.

Erinnerungskultur in diesem Sinne ist eine Form des Erinnerns, die eine Verbindung zu unserem heutigen Leben schafft. Sie hilft, Verständnis für den Umgang mit Minderheiten zu entwickeln, Vorurteile abzubauen und die Vielfalt einer Gesellschaft hochzuschätzen. Eine lebendige Erinnerungskultur unterstützt die Gesellschaft zudem dabei, Verschwörungstheorien die erschreckende Realität entgegenzuhalten. Und die heißt weiterhin: Der Nationalsozialismus hat unvergleichliches Leid gebracht! ‚Nie wieder!‘ darf keine Floskel, sondern muss deshalb Leitmotiv der politischen Bildung sein.