Alarmstufe Rot! Das Betreuungsangebot von Kitas ist massiv beeinträchtigt
DKLK-Studie 2019 - Umfrage unter 2.628 Kita-Leitungen
„Alarmstufe Rot! Das ist, in zwei Worten zusammengefasst, was wir aufgrund der Ergebnisse der DKLK-Studie 2019 feststellen müssen. Die Umfrage offenbart in dramatischer Klarheit, in welchem Ausmaß sich die Versäumnisse der Politik der zurückliegenden Jahre im Kitabereich heute rächen“, kommentiert Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), anlässlich der heutigen Veröffentlichung der Studie im Rahmen des Deutschen Kitaleitungskongresses in Düsseldorf.
„Was wir beobachten ist zweierlei: Auf der einen Seite Kitaleitungen, Kita-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich mit einem enormen Engagement der Erfüllung des an sie gestellten Erziehungs- und Bildungsauftrags widmen, die sich in Richtung ihrer Belastungsgrenzen und teilweise darüber hinaus dafür einsetzen, die eklatanten Missstände in Kitas aufzufangen, die sie nicht zu verantworten haben. Auf der anderen Seite die Politik, die ihre Verantwortung sehenden Auges auf dem Rücken dieser Menschen ablädt, indem sie viel zu lange dringend notwendige Investitionen verweigert oder in der Regel nur in vergleichsweise homöopathischen Dosen verabreicht. Durch ihr Handeln beziehungsweise Nicht-Handeln nimmt die Politik einen erheblichen Schaden der Kinder, der im Kita-Bereich engagierten Personen und unserer Gesellschaft insgesamt in Kauf – und dies seit Jahren. So werden aus Bildungs- und Erziehungseinrichtungen, die einmal weltweit unter dem Begriff ‚Kindergarten‘ als Vorbild fungiert haben, zunehmend bessere Verwahranstalten, die ihrem Bildungsauftrag trotz aller Anstrengungen nicht gerecht werden können“, erläutert Beckmann.
Ein zentrales Ergebnis der Studie lautet: Das Betreuungsangebot, welches durch Kitas bereitgestellt werden muss, ist massiv beeinträchtigt. Der Grund hierfür: fehlendes Personal. 86 % der vom Personalmangel betroffenen Kita-Leitungen geben an, dass sie die Angebote für Kinder mindestens vorübergehend reduzieren müssen. In zahlreichen Kitas ist aus der Ausnahme eine tägliche Notwendigkeit geworden. Aber nicht nur die Quantität, auch die Qualität der Betreuung kann, gemessen an den wissenschaftlich empfohlenen Mindeststandards einer Fachkraft-Kind-Relation von 1:3 für unter 3-jährige Kinder und 1:7,5 für über 3-jährige Kinder, von knapp 95% der Kitas nicht gehalten werden. „Das sind keine bedenklichen, das sind dramatische und erschreckende Fakten“, so Beckmann.
Knapp 90 % der befragten Kitas haben laut Umfrage in den letzten 12 Monaten mit einer Personalunterdeckung gearbeitet. „Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Qualität der Betreuung, schlimmer noch, wird den Kitas hierdurch auch ein nicht hinnehmbares Haftungsrisiko aufgebürdet. Denn wenn eine angemessene Beaufsichtigung nicht mehr geleistet werden kann, gehen Kitas, die ihren Betrieb dennoch aufrechterhalten, ein enormes Risiko ein“, konstatiert Beckmann.
Was die Ergebnisse der Umfrage ebenfalls deutlich machen ist, dass die Politik die Situation auf dem Arbeitsmarkt jahrelang schön gerechnet hat. Mit der Folge, dass dieser heute leer gefegt ist. 7 von 10 Kitas benötigen im Durchschnitt mehr als 3 Monate zur Nachbesetzung offener Stellen, 3 von 10 Kitas sogar mindestens 5 und teilweise bis über 6 Monate. „Statt für Kitas Planungssicherheit zu gewährleisten, hat die Politik Kita-Leitungen in die Lage manövriert, sich als permanente Mangelverwalter betätigen zu müssen. Dass, was allenfalls eine Ausnahmesituation sein dürfte, ist heute zur bitteren Normalität geworden“, so Beckmann.
Blickt man auf die Verwaltungsaufgaben, die von Kita-Leitungen zu leisten sind, so zeigen die Ergebnisse der Umfrage, dass sich diese, diametral gegenläufig zu den Bekundungen der Politik, hier für Entlastung zu sorgen, sogar für 60% der Kita-Leitungen noch erhöht haben. „Dass fehlende, aber dringend erforderliche Entlastungsmaßnahmen die pädagogische Gestaltungsfreiheit und -qualität von Kitas zusätzlich torpedieren, grenzt mittlerweile fast an Vorsatz“, bewertet Beckmann die Ergebnisse.
Wertschätzung, so muss man festhalten, sieht anders aus. Dies spiegeln auch die Zahlen der aktuellen Umfrage wider. 80 % der Kita-Leitungen sind nach wie vor enttäuscht ob der mangelnden Wertschätzung vonseiten der Politik. Gerade einmal 3,4 % der Kita-Leitungen fühlen sich angemessen durch die Politik wertgeschätzt. „Das müsste den Verantwortlichen die Schamesröte ins Gesicht treiben“, so Beckmann.
„Neben den dramatischen Zuständen des Heute müssen wir uns klar machen, welch verheerende Signalwirkung dies auch auf Menschen hat, die sich mit der Idee beschäftigen, eine Tätigkeit im Kitabereich anzustreben und welche mittel- und langfristigen Effekte sich hier in Richtung eines ohnehin bereits mehr als angespannten Arbeitsmarktes ergeben. Dass zudem 65 % der Kita-Leitungen ihre Bezahlung als unangemessen empfinden, insbesondere Kita-Leitungen, die ohne Freistellung arbeiten, verdeutlicht, dass auch die monetäre Form der Wertschätzung weiterhin vollkommen unzureichend ist“, erläutert Beckmann.
Der VBE fordert die Politik eindringlich auf, der massiven strukturellen Unterfinanzierung im frühpädagogischen Bereich endlich langfristige und flächendeckende Investitionen entgegenzusetzen. „Es braucht eine angemessene Bezahlung in Form substanzieller Lohnsteigerungen auf allen Ebenen, auch um die Attraktivität des Berufes zu erhöhen. Wir müssen die Fachkraft-Kind-Relation in Richtung der empfohlenen Mindeststandards verbessern, bspw. durch die Entlastung bei Verwaltungsaufgaben und den Abbau gesetzlicher Überregulierung, durch die Erhöhung von den Anrechnungsstunden für die Leitungsarbeit und durch den Einsatz von multiprofessionellen Teams. Die Ausbildung im frühpädagogischen Bereich muss flächendeckend vergütet und der Beruf als Mangelberuf anerkannt werden. Es braucht zudem dringend notwendige Sofortmaßnahmen, die zur Auflösung der Personalunterdeckung beitragen, um die Sicherheit von Kindern und das Haftungsrisiko für Träger und Leitungen zu minimieren. Um dem massiven Fachkräftemangel zu begegnen, braucht es darüber hinaus flächendeckende Strategien und Maßnahmen zur Gewinnung von qualifiziertem Personal“, fasst Beckmann zusammen. „Das, was das sogenannte ‚Gute-Kita-Gesetz‘ suggeriert, ist mit Blick auf das, was die vorliegende Studie offenbart, fern jeder Realität. Werden bereitgestellte Mittel des Bundes durch die Länder etwa für die Reduzierung der Elternbeiträge genutzt, hat dies noch keinen Effekt auf die Qualität der Kitas. Keine Erzieherin und kein Erzieher wird dadurch auch nur ein Kleinkind weniger betreuen. Was wir brauchen, sind nachhaltige Lösungen und deutlich höhere, langfristige Investitionen.“
Die DKLK-Studie 2019 mit dem Titel ‚Kita-Leitung in Zeiten des Fachkräftemangels‘ wurde vom Informationsdienstleister Wolters Kluwer und dem VBE Bund sowie den drei VBE-Landesverbänden, dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV), dem VBE Baden-Württemberg und dem VBE Nordrhein-Westfalen unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Dr. Ralf Haderlein durchgeführt. An der Umfrage, welche zum fünften Mal erhoben wurde, haben 2.628 Kita-Leitungen teilgenommen. Der Deutsche Kitaleitungskongress ist eine gemeinsame Veranstaltung der genannten Partner und der AOK.