Berlin, Bildungsgerechtigkeit

Schulschließungen dürfen nicht zum Katalysator für Bildungsungerechtigkeit werden

„Wir sehen viel Positives. Über das Wochenende haben Lehrkräfte hochengagiert Aufgaben und Arbeitsmaterialien zusammengestellt und diese persönlich übergeben, digital zur Verfügung gestellt oder den Eltern zukommen lassen. Für deren Bearbeitung sollte es in der Regel nicht notwendig sein, dass die Kinder und Jugendlichen von ihren Eltern unterstützt werden. Denn natürlich ist es Aufgabe der Lehrkräfte, solche Arbeitsmaterialien zusammenzustellen, welche die Schülerinnen und Schüler auch gut bewältigen können, und bei offenen Fragen ggf. auch eine Kontaktmöglichkeit anzubieten. Zugleich sollten Eltern nicht übermotiviert werden. Auch in der Schule kann nicht jedes Kind jede Aufgabe auf Anhieb umsetzen. Manchmal hilft das nochmalige Lesen und oft ein bisschen Zeit. Hier wollen wir auch beruhigen. Es ist nicht Aufgabe der Eltern, den Unterricht zu ersetzen. Sie sollten vor allem auf eine gute Arbeitsatmosphäre, Pausen und etwas Bewegung zwischendurch achten“, sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). 

Und er rät Eltern: „Vertrauen Sie der Lehrkraft Ihres Kindes. Sie weiß am besten, was es jetzt gerade braucht, welche Anforderungen an Ihr Kind gestellt werden können. Wenn die Aufgaben nicht ausreichen, um Ihr Kind auszulasten, versuchen Sie insbesondere auch, die kreative Seite zu fördern. Das kommt nämlich manchmal zu kurz in der Schule, da zuallererst für das gelernt wird, was abgefragt wird. Nicht zuletzt ist diese besondere Situation auch eine Gelegenheit, gemeinsam Zeit zu verbringen. Vorlesen fördert schon ab frühestem Alter eine enge Bindung und einen großen Wortschatz.“

Mit Unbehagen blickt der Bundesvorsitzende aber gleichzeitig auf die Schülerinnen und Schüler, die zuhause kaum Unterstützung erhalten (können) – weil ihre Eltern emotional, kognitiv oder ökonomisch dazu nicht in der Lage sind: „Alle Lehrkräfte wissen, dass es Kinder gibt, bei denen man jeden Tag wieder froh ist, dass sie in der Schule einen festen Rhythmus, eine fürsorgliche Bezugsperson und ein Mittagessen erhalten. Die Politik muss momentan vieles gleichzeitig bedenken, aber ich möchte eindringlich an die Kinder erinnern, denen die momentane Situation schwer zu schaffen machen wird. Wenn es dann auf der anderen Seite Eltern gibt, welche ihre Kinder dazu bringen, während der Schulschließungen mehr Aufgaben als notwendig zu machen, privat Nachhilfe organisieren und zusätzlich kostenpflichtige digitale Angebote nutzen, wird sich die Schere der Bildungserfolge schon in kurzer Zeit umso deutlicher zeigen. Die Schulschließungen würden so zu einem Katalysator für Bildungsungerechtigkeit.“ Deshalb bewertet der Bundesvorsitzende es als sehr positiv, dass die öffentlich-rechtlichen Sender mehr Bildungsprogramme anbieten und Lehrkräfte im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten über Video-Plattformen wie YouTube, Streaming-Plattformen wie Twitch oder Digitalkonferenzanbieter wie Zoom (nicht nur mit ihren) Schülerinnen und Schülern in Kontakt bleiben und Wissen vermitteln. Außerdem haben viele kommerzielle Anbieter einen kostenlosen Probemonat im Angebot. Hier sei, so Beckmann, jedoch auf Kündigungsfristen zu achten.