Licht und Schatten im digitalen Klassenzimmer
Bereits seit 2018 beauftragt der Verband Bildung und Erziehung (VBE) das Sozialforschungsinstitut forsa mit der Durchführung der repräsentativen Berufszufriedenheitsumfrage unter Schulleitungen. Ein Schwerpunkt der Umfrage des Jahres 2022 war der Themenbereich Digitalisierung. Über 1.300 Schulleitungen haben ihre Einschätzungen zur digitalen Ausstattung ihrer Schule und weiteren Aspekten rund um Digitalisierung abgegeben.
Digitalisierung braucht technische Ausstattung
Ein Kern der Ergebnisse: Gut zwei Drittel der Schulen verfügten zu Beginn des laufenden Schuljahres über angemessenes WLAN in allen Klassenräumen. Im Jahr 2019 konnten dies lediglich 36 Prozent der Schulleitungen sagen. Den höchsten Anstieg (18 Prozentpunkte) verzeichneten die Schulen aufgrund des pandemiebedingten Distanzunterrichts zwischen den Jahren 2020 und 2021. Nochmals 12 Prozentpunkte kamen zwischen 2021 und 2022 hinzu. Allerdings muss weiterhin gut ein Drittel der Schulen ohne angemessenen Internetanschluss auskommen. Besonders prekär ist die Situation an Förder- und Sonderschulen. Hier ist lediglich die Hälfte der Schulen mit angemessenem Breitbandinternet und WLAN versorgt. Für Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des VBE, nur bedingt Grund zur Freude: „Die Pandemie hat die Politik gezwungen, ins Handeln zu kommen. Allerdings ist immer noch ein Drittel der Schulen unterversorgt, was die Ausstattung mit Breitband und WLAN angeht. Die Politik darf nicht erneut auf einen externen Zwang warten, um diesen Prozess abzuschließen. Die Lücke muss schnellstens geschlossen und alle Schulen bundesweit mit angemessenem Internetzugang versorgt werden.“
Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich in der Frage der Ausstattung mit technischen Geräten ab. Sowohl bei Endgeräten für Lehrkräfte als auch für Schülerinnen und Schüler hat es in den letzten Jahren einen Zuwachs gegeben. Meldeten 2020 noch 63 Prozent der Schulleitungen zurück, über keine Klassensätze an Laptops, Tablets oder Smartphones für die Schülerinnen und Schüler zu verfügen, waren es zu Beginn des laufenden Schuljahres noch lediglich 15 Prozent. Gut drei Viertel der Schulen verfüge demnach aktuell über Klassensätze für einen Teil der Schulklassen, in fast 10 Prozent der Schulen verfügen alle Klassen über technische Endgeräte. Insgesamt ein gemischtes Urteil, da ein großer Teil der Entwicklung bereits zwischen 2020 und 2021 stattfand. Im Jahr der Befragung hingegen waren nur geringe Zuwächse sichtbar. So hatte sich beispielsweise die Zahl der Schulen, die Klassensätze an Laptops oder Tablets hatten, im ersten Jahr der Pandemie mehr als verdoppelt. Im Jahr der Befragung hingegen kamen nur sieben Prozentpunkte hinzu. Positive Abweichung in dieser Frage: Fast ein Viertel der Förder- und Sonderschulen hat Klassensätze für alle Klassen. Dies können schulformübergreifend nur neun Prozent der Schulleitungen behaupten. Hierzu Brand: „Es ist erfreulich, dass an Förder- und Sonderschulen, wo ein gesteigerter Bedarf für individuelle Förderung besteht, die Ausstattung im positiven Sinne abweicht. Dies bietet den Lehrkräften viele Möglichkeiten, den Schülerinnen und Schülern individuelle und lebensweltnahe Angebote zu unterbreiten.“
In der jüngsten Umfrage wurde erstmals abgefragt, wie es um die Ausstattung der Lehrkräfte mit Dienstgeräten bestellt ist. Demnach gibt es an 68 Prozent der Schulen Dienstgeräte für alle Lehrkräfte und an 22 Prozent der Schulen für viele Lehrkräfte. Laut Brand ein durchaus begrüßenswerter Befund. Allerdings käme der Nutzen der Endgeräte allzu oft nicht im Arbeitsalltag der Lehrkräfte an, da weiterhin datenschutz- und urheberrechtliche Hürden bestünden. Darüber hinaus gebe es wenig Klarheit, was zertifizierte Software angehe. „Viel zu oft ist nicht klar, was Lehrkräfte mit dem zur Verfügung gestellten Gerät machen dürfen. Dient es der Unterrichtsvorbereitung oder der Verwaltung sensibler Daten von Schülerinnen und Schülern? Da ist es nicht verwunderlich, wenn die Lehrkräfte sich erstmal selbst schützen und auf den Gebrauch des Dienstlaptops verzichten, bis diese Fragen geklärt sind“, so Brand. Zehn Prozent der Schulleitungen beklagen allerdings, nur wenigen oder keinen Lehrkräften Dienstgeräte zur Verfügung stellen zu können.
Technische Ausstattung ist noch keine Digitalisierung
Der Frage der technischen Ausstattung auf der einen, steht die Frage der Digitalisierung auf der anderen Seite gegenüber. Brand betont: „Es reicht bei Weitem nicht aus, Laptops und Tablets mit der Gießkanne in den Schulen zu verteilen. Die reine technische Ausstattung macht noch keine Digitalisierung“. Hierbei spricht Brand unter anderem auf die Frage an, wie gut Aus-, Fort- und Weiterbildungen Lehrkräfte auf den Einsatz digitaler Endgeräte im Unterricht vorbereiten. Hier gibt es nach Aussage der befragten Schulleitungen noch deutlichen Bedarf für Nachbesserungen. Fast die Hälfte der Befragten ist der Ansicht, die Lehrkräfte seien nach Beendigung des Studiums nicht angemessen auf den Einsatz digitaler Endgeräte im Unterricht vorbereitet. Ebenso stagniert die Zahl der Lehrkräfte, die schätzungsweise an einer Fortbildung zum Einsatz digitaler Endgeräte im Unterricht teilgenommen hat. Die Anzahl der Schulen, an denen dies schätzungsweise drei Viertel oder mehr getan haben, hat sich innerhalb des letzten Jahres lediglich um zwei Prozentpunkte erhöht. Im Vorjahr gab es noch einen Zuwachs von 25 Prozentpunkten. Hierzu Brand: „Digitalisierung bewirkt einen umfassenden Wandel in der Bildung. Für diesen Wandel müssen die Lehrkräfte fit gemacht werden. Wenn fast die Hälfte der Schulleitungen im Schulalltag den Eindruck gewinnt, dass die Ausbildung dies nicht leistet, ist das ein bedenklicher Befund. Besonders wenn man bedenkt, dass dieser Wert seit 2020 nahezu unverändert schlecht ist. Digitale Medien können nur dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn sie pädagogisch sinnvoll in Lehr-Lern-Kontexte eingebunden sind. Hier müssen die Curricula dringend den Bedarfen einer modernen Bildungslandschaft angepasst werden. Ebenso brauchen aber auch jene Lehrkräfte, die schon seit vielen Jahren im Schulbetrieb sind, passende Angebote für Fort- und Weiterbildung. Dies wohlgemerkt innerhalb der Dienstzeit.“
Digitalisierung ist kein Selbstläufer – Strukturen nachhaltig und professionell sichern
In der aktuellen Umfrage wurden die Schulleitungen erstmals dazu befragt, ob der Support der technischen Infrastruktur durch externe Dienstleister oder zusätzliche personelle Ressourcen gewährleistet sei. Lediglich zwei Drittel der Schulleitungen konnten dies bejahen. Im Gegenzug sind 30 Prozent der Schulen mit dieser Herausforderung allein gelassen. Hierzu Brand: „Angesichts des akuten Lehrkräftemangels ist es sehr bedauerlich, dass die Politik eine Chance, Erleichterungen in die Schulen zu bringen, so leichtfertig verschenkt. Die Wartung technischer Infrastruktur stellt eine enorme zusätzliche Belastung für Schulleitungen und Lehrkräfte dar. Zudem sind sie dafür nicht originär ausgebildet. Würde hier zielgerichtet unterstützt werden, könnte zumindest diese Last von den Schultern betroffener Schulleitungen und Lehrkräfte genommen werden.“
Brand resümiert: „Es scheint, als hätte der Digitalisierungszug erheblich an Fahrt verloren. Nach einem großen Aufbruch in Corona kehrt nun wieder die übliche Trägheit ein. Es gibt aber einen Unterschied zwischen 2019 und 2023: Der Prozess ist bereits in vollem Gange. Die Geräte sind in den Schulen und Lehrkräfte, aber auch Schülerinnen und Schüler erwarten substanzielle Entwicklungen hin zu einem sinnvollen digital gestützten Unterricht. Und diesen wird es nur geben, wenn die Lehrkräfte flächendeckend geschult sind und die Infrastruktur in allen Schulen vorhanden und professionell gewartet ist. Besonders die mittel- und langfristige Perspektive muss stärker in den Fokus gerückt werden. Ohne eine stabile digitale Infrastruktur mit langfristig gesicherter Finanzierung im Bildungsbereich, inklusive technischer Administrations- und Supportstrukturen, kann Digitalisierung nicht funktionieren. Auch was die technische Ausstattung von Lehrkräften und Schülerschaft angeht, brauchen wir eine ständige Unterstützung. Schließlich sind vermutlich bereits jetzt die ersten digitalen Endgeräte, die über den Digitalpakt angeschafft wurden, technisch hinter dem Standard aktueller Geräte. Kurz: Wir brauchen eine fortlaufende Modernisierung der Infrastruktur, der technischen Ausstattung, aber auch eine fortlaufende Evaluierung und Weiterentwicklung der genutzten Software.“