Demokratie braucht Gleichstellung – und Mut zur Stimme

19. Frauenpolitische Fachtagung des dbb: VBE-Delegation mit Milanie Kreutz (4. v. l.)

Die Zeichen in Berlin standen im Mai auf Sturm. Hagel und Gewitter haben sich angekündigt – nicht nur meteorologisch, auch politisch. Unter dem Titel „Richtung Zukunft: Frauenrechte stärken und Demokratie bewahren im Kampf gegen Extremismus und Populismus“ versammelten sich im dbb forum Menschen, die sich seit Jahren für Parität, Teilhabe und Respekt einsetzen. Doch viele teilen in diesen Tagen das gleiche Gefühl: Was einmal sicher schien – Rechte, Räume, Respekt – steht wieder zur Debatte. Und mit ihm das Fundament unserer Demokratie.

Milanie Kreutz, Vorsitzende der dbb bundesfrauenvertretung, stellte gleich zu Beginn klar: Es geht um mehr als um Frauenrechte. „Gleichstellung ist im rechten Spektrum kein Ziel, sondern ein Feindbild.“ Was früher als Tabubruch galt, ist heute salonfähig: Mit Antifeminismus, Sexismus und Rassismus werden – beschleunigt durch soziale Medien – unsere demokratischen Werte angegriffen.

Antifeminismus als demokratiegefährdende Ideologie

Johanna Niendorf vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut zeigte in ihrem Vortrag, wie Antifeminismus als politische Strategie funktioniert: einschüchtern, abwerten, mundtot machen. Und zwar besonders Frauen, die sich in der Öffentlichkeit engagieren. Studien zeigen erschreckend deutlich: Antifeminismus ist längst kein Randphänomen mehr. Er durchzieht die Mitte unserer Gesellschaft. Was einst als extreme Haltung galt, findet heute Zustimmung im Alltag, in Familien, in Parlamenten. Das ist nicht nur alarmierend, sondern ein direkter Angriff auf Gleichstellung, Freiheit und Menschenwürde.

Dagegen helfen jedoch keine schnellen Lösungen. Prof. Wolfgang Merkel warnte in seinem Vortrag „Retten Parteiverbote unsere Demokratie?“ vor einem Ausschluss als Allheilmittel gegen Rechtsradikalismus. Ein Verbot, so erklärte er, entferne zwar Mandatsträger, nicht aber das Gedankengut. Die Folge: Neugründungen – ein anderer Name, mit demselben Inhalt. Schwer wöge auch ein demokratietheoretisches Problem: Man würde 20 Prozent der Bevölkerung ihre politische Souveränität entziehen – ein gefährlicher Widerspruch. Statt Ausgrenzung plädierte Merkel für Dialog mit den Wählenden: „Der große Moment der Demokratie ist, dass wir abwählen können.“

Dass es im Kampf gegen demokratiefeindliche Tendenzen nicht nur politische, sondern auch gesellschaftliche Strategien braucht, machte Katharina Kaluza vom Deutschen Frauenrat deutlich. Ihr Vortrag „Die Auswirkungen von Antifeminismus: Demokratie-Empowerment als Gegenstrategie“ war ein eindringlicher Appell an das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Antifeminismus. Ihre Botschaft: Netzwerke stärken, Betroffene sichtbar machen und zusammenstehen. Die sogenannte One-Voice-Policy sei dabei eine zentrale Strategie: Sie sendet das Signal, dass einzelne Erfahrungen kollektive Wirklichkeit abbilden – und ernst genommen werden.

Demokratie ist kein Selbstläufer

Die Fachtagung war mehr als eine Bestandsaufnahme. Sie bot Raum für Austausch, gemeinsames Nachdenken und neue Allianzen. „Wir müssen nicht kämpfen, wir müssen verteidigen“, sagte Milanie Kreutz – und traf damit den Nerv der Zeit. Gleichstellung ist kein fertiges Projekt, sondern ein Versprechen, das immer wieder eingelöst werden muss – besonders, wenn der Wind sich dreht. Was es jetzt braucht, ist keine Rückzugsstrategie, sondern demokratische Standfestigkeit: einen öffentlichen Dienst, der als verlässlicher Anker in unruhigen Zeiten gestärkt wird. Und mehr Männer, die sich nicht vom Gegenwind einschüchtern lassen, sondern aktiv an Gleichstellung mitwirken. Denn ob in Kitas, Klassenzimmern oder Kommunalparlamenten – dort, wo Beteiligung möglich ist, entstehen Räume, die auch bei stürmischem Wetter tragen.


Info: Die Frauenpolitische Fachtagung des dbb ist eine jährlich stattfindende Veranstaltung der dbb bundesfrauenvertretung. Sie bietet ein Forum für den Austausch über aktuelle gleichstellungspolitische Themen. Die Tagung bringt Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen, um Herausforderungen wie Care-Arbeit, Altersarmut, Antifeminismus und Extremismus zu diskutieren und Lösungsansätze zu entwickeln.

Die Kraft des Vorbilds

In der Mittagspause der 19. Frauenpolitischen Fachtagung des dbb hat sich eine Gesprächsrunde zusammengefunden, um sich zu ihren Eindrücken der Impulsvorträge auszutauschen. Schnell kamen die Diskutierenden

  • Stefan Behlau (1. v. l.), Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes,
  • Simone Fleischmann (2. v. r.), stellvertretende VBE Bundesvorsitzende des Arbeitsbereichs Schul- und Bildungspolitik,
  • Tanja Küsgens (2. v. l.), Sprecherin der Frauen im VBE, und
  • Susann Meyer (1. v. r.), Sprecherin des Jungen VBE,

weg von den konkreten Vorträgen hin zu Strukturen, der Rolle von Vorbildern und dem Handeln in Schule.
Wir haben das Gespräch dokumentiert:


Tanja Küsgens: Mich hat schockiert, wie Einzelpersonen, insbesondere sehr reiche Männer, mit einem großen Finanzvolumen antifeministische Strömungen unterstützen. Das war mir nicht bewusst. Und wenn dann noch große Konzerne beginnen, in vorauseilendem Gehorsam ihre Förderprogramme einzustellen, ist das erschreckend. Professor Merkel hatte ja gesagt, dass das Ende des Diversity- und Frauenförderprogramms von SAP nur der Beginn einer antifeministischen Welle ist. Das ist demokratiegefährdend!

Stefan Behlau: Und es offenbart, dass viele Firmen eigentlich keine Haltung entwickelt haben, sondern die Förderprogramme nur eine Marketingstrategie waren. Und wenn sich der Wind jetzt dreht, ändern sie ihre Strategie. Als öffentlicher Dienst müssen wir dagegenhalten, um denen auch zu zeigen, dass es so nicht gehen kann.

Simone Fleischmann: Wir dürfen es uns aber nicht zu einfach machen, auf die großen Firmen zu schauen, sondern müssen auch bei uns bleiben. Wie ist es denn in unseren Verbänden? Wie ist da die Haltung? Und wo kommt das her? Wenn ich mir in Bayern anschaue, wie das Bild der braven Frau gezeigt wird, die zu Hause wartet und ihre Kinder alleine betreut, müssen wir da schon auch in Denkmuster rein. Das über Bord zu werfen, fände ich spannend. Dafür müssen wir selbst Vorbilder sein.

Tanja Küsgens: Absolut. Dafür müssen wir aber auch schauen, was man selbst denkt und wo das herkommt, weil viele Dinge einfach unbewusst geschehen, gerade was alte Rollenbilder angeht. Das müssen wir aufbrechen, dazu müssen aus verschiedensten Blickwinkeln reflektieren, auch mit Male Allies, wie Martin Sperr. Der zeigt, dass es eben auch für Männer wichtig und gesund ist, in einer gleichberechtigten, geschlechtergerechten Gesellschaft zu leben. Und es ist, glaube ich, auch ganz wichtig, dass wir das in Schulen viel mehr thematisieren.

Susann Meyer: Dann müssen wir aber auch sagen: Gleichstellung muss auf allen Ebenen mitgedacht werden, auch schon in der Schülervertretung. Außerdem macht es mir große Sorgen, wenn die Finanzierung von Demokratieprojekten jetzt zurückgefahren wird. Für Demokratiebildung braucht es halt Ressourcen.

Tanja Küsgens: Und die Vorbereitung! Das muss in Fortbildung und Ausbildung sein.

Stefan Behlau: Eine Herausforderung ist ja auch, dass unser gesamtes schulisches System und auch das frühkindliche Bildungssystem schon auf die traditionelle Familie abgestimmt sind. In kaum einem anderen Land in Europa so stark, wie bei uns.

Simone Fleischmann: Und dann müssen wir als Lehrerinnen zeigen, dass wir unser Leben stehen und Vorbild sein können. Dass du auch mal dagegen hältst gegen Schulbücher, wo immer nur Mama, Papa, Kind abgebildet sind. Dass du das zum Thema machst im Unterricht und fragst, was den Kindern da auffällt und wie viele von ihnen überhaupt so leben. Das ist anstrengend, aber das lohnt sich auch.

Tanja Küsgens: Ich glaube, man muss an der Stelle auch aufpassen, dass man es nicht so sehr auf Frauen und Männer fokussiert, sondern es ist tatsächlich eine Struktur. Männer, die mehr Betreuung übernehmen und weniger arbeiten gehen, erleben ja ähnliche Nachteile.

Stefan Behlau: Ja! Grundproblematik der Situation, dass nach wie vor die Care-Arbeit in der Regel von Frauen ist. Es braucht ein gesamtgesellschaftliches Aufmerken. Wir müssen uns fragen: Wie sehen wir Familie, wer kann wo welche Rolle in einer Partnerschaft oder in der Familie übernehmen?

Susann Meyer: Und wenn wir das auf Ehrenamt beziehen, also darüber sprechen, wie Engagement für alle möglich wird, stört mich etwas. Es gibt sie nämlich schon: die Frauen, die das alles stemmen mit Job und Ehrenamt, mit Partnerschaft und Kindern. Aber die sind müde! Wir verlieren gerade ganz viel, weil wir ihnen zu viel zumuten. Und irgendwann sagen sie: Ich bin da raus, ich habe das jahrelang gemacht, ich will das nicht mehr machen. Es ist also nicht nur notwendig, dass sich Strukturen ändern, sondern dass wir untereinander so solidarisch miteinander sind, dass sich viele engagieren – und sich nicht nur wenige aufreiben.

Tanja Küsgens: Dafür sind Vorbilder wichtig! Bevor es der Frauenfußball in die öffentliche Berichterstattung schaffte, war das eine Nische. Nach der Fußball-WM war da auf einmal der Gedanke bei Mädchen: Ich könnte ja auch Fußballerin werden. Und jetzt fragen sich junge Menschen: Ach, Bundeskanzlerin – das kann auch ein Mann? (alle lachen)