Kaum Entwicklung bei Inklusion
Neue forsa-Umfrage des VBE zeigt Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Von der inklusiven Schule als Normalfall ist Deutschland noch weit entfernt – das zeigen die aktuellen Ergebnisse der forsa-Lehrkräftebefragung zur Inklusion im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). Zwar wollen viele, dass gemeinsames Lernen gelingt – aber das System lässt die Lehrkräfte dabei allein.
Seit 2015 erhebt der VBE regelmäßig, wie Lehrkräfte Inklusion erleben. Die aktuelle Befragung von 2.737 Pädagoginnen und Pädagogen zeigt geringe Entwicklung seit 2020 und eine massive Lücke zwischen Anspruch inklusiver Beschulung und schulischer Realität. So halten 62 Prozent der Befragten inklusives Lernen in der Theorie für sinnvoll, bei jenen mit Erfahrung im inklusiven Unterricht steigt der Wert auf 69 Prozent. Doch aufgrund fehlenden Personals, großer Klassen und mangelnder individueller Förderung halten nur 28 Prozent Inklusion auch in der aktuellen schulischen Umsetzung für praktikabel. Das hat Folgen: Fast die Hälfte der Befragten spricht sich für den mehrheitlichen Erhalt von Förderschulen aus, ein Drittel für den vollständigen Erhalt. Nur knapp 20 Prozent sprechen sich für die mehrheitliche Abschaffung von Förderschulen aus. Dabei zeigt sich eine starke Korrelation zwischen dem Befürworten des Abschaffens von Förderschulen und der Erfahrung mit Inklusion. Der stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Tomi Neckov, betont: „Das Erleben macht offen für die Vorteile von Inklusion! Es darf aber keine Zusatzaufgabe ohne Ressourcen sein. Die Offenheit für das inklusive Beschulen und die Aufgabe, dies umzusetzen, muss mit den notwendigen Rahmenbedingungen einhergehen.“
Die Ursachen sind klar benannt: Mangel an qualifiziertem Personal, fehlende Doppelbesetzungen, wenig multiprofessionelle Teams. Die Lehrkräfte fühlen sich schlecht vorbereitet – zwei Drittel haben Inklusion nie im Studium behandelt, fast die Hälfte hat keine sonderpädagogischen Kenntnisse. Und wer sich fortbilden möchte, scheitert oft an fehlender Zeit oder fehlenden Angeboten. Es gibt auch Fortschritte: Der Anteil der Schulen mit Koordinierungsstrukturen und multiprofessionellen Teams hat sich seit 2020 deutlich erhöht. Drei Viertel der Lehrkräfte nutzen digitale Mittel zur individuellen Förderung – ein Lichtblick, aber kein Allheilmittel. Denn: Lern-Apps ersetzen kein Beziehungsangebot, keine Empathie, keine fundierte pädagogische Einschätzung.
Trotz politischen Bekenntnisses kommt Deutschland nicht ernsthaft voran. „Inklusion ist kein Randthema – sie ist ein Prüfstein für den Zustand unseres Bildungssystems“, sagt VBE-Vize Tomi Neckov. Doch der Test wird nicht bestanden: 41 Prozent der Schulen sind nicht barrierefrei, zwei Drittel der Lehrkräfte berichten von gleichbleibender Klassengröße trotz zusätzlicher Förderbedarfe – eine strukturelle Überforderung. Was bleibt, ist ein deutlicher Weckruf an die Politik. „Inklusion braucht mehr als schöne Worte – sie braucht Ressourcen, Zeit, Räume und echte Verlässlichkeit. Und sie braucht Lehrkräfte, die sich nicht allein gelassen fühlen“, resümiert Neckov. Denn: Wenn fast die Hälfte der Befragten unzufrieden mit der Inklusionspolitik ihrer Landesregierung ist – und unter denen mit praktischer Inklusionserfahrung sogar 44 Prozent sehr unzufrieden sind – dann ist es Zeit für einen Aufbruch. Für echte Teilhabe. Für ein Bildungssystem, das hält, was es verspricht.
Digitale PK zur Inklusionsumfrage 2025
Schauen Sie sich hier die Aufzeichnung an (24:16 Minuten, mit Untertiteln).