10 Jahre UN-BRK in Deutschland
veröffentlicht am 15. November 2018
Der Verband Bildung und Erziehung bekennt sich zu einer am Kind orientierten Inklusion. 10 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention kann jedoch noch immer festgestellt werden, dass die Bedingungen für die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Beeinträchtigungen weiterhin schlecht sind. Die Schulbauten sind nicht entsprechend ausgebaut, die Lehrkräfte zu wenig vorbereitet und die Struktur (zum Beispiel die Klassengröße) nicht auf die gemeinsame Beschulung ausgelegt. Daher fordert die [VBE Bundesversammlung] in ihrer Sitzung im November 2018 die Barrierfreiheit von Schulbauten, das Unterrichten im Zwei-Pädagogen-System, ein angemessenes Fortbildungsangebot und eine hohe Qualität dessen, sowie die Einsetzung multiprofessioneller Teams und die Medikation durch Schulgesundheitsfachkräfte.
Positionstext
Der VBE bekennt sich ausdrücklich zur gemeinsamen Beschulung von Kindern mit und ohne Beeinträchtigungen, die stets an dem Kindeswohl ausgerichtet sein muss. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) setzt sich dafür ein, dass die Politik 10 Jahre nach Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention endlich optimale Bedingungen für eine inklusive Beschulung schafft. Es ist längst überfällig, adäquate Schulbauten, bestausgestattete Schulen, optimal vorbereitetes Personal und einen angemessenen Personalschlüssel, zum Beispiel um eine Doppelbesetzung in den Klassen zu ermöglichen, sicherzustellen. Sichergestellt werden muss auch, dass die Lehrkräfte durch multiprofessionelle Teams unterstützt und durch Aus-, Fort- und Weiterbildung optimal auf ihre neuen Herausforderungen vorbereitet werden.
Im Februar 2009 hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Nach fast 10 Jahren fällt die Bilanz jedoch ernüchternd aus. Zwar wurden im Schuljahr 2016/2017 fast 40 Prozent der Kinder mit Förderbedarf in Regelschulklassen unterrichtet, was einer relativen Verdopplung seit dem Schuljahr 2008/2009 entspricht, aber deutlich wird auch: Die Anzahl an Kindern mit Förderbedarf steigt. In den acht Jahren von 2008 bis 2016 gab es insgesamt über 40.000 mehr Kinder mit festgestelltem Förderbedarf im Bildungssystem – während die Gesamtschülerzahl um über 650.000 sank.
Die vom VBE in Auftrag gegebenen, repräsentativen forsa-Umfragen zeigen in aller Deutlichkeit auf, dass die Bedingungen für Inklusion an den meisten Schulen nicht gegeben sind.
Barrierefreiheit
Vollständig barrierefrei sind laut der forsa-Umfrage nur 16 Prozent der Schulen. Besonders signifikant: 59 Prozent der Grundschulen, die im Rahmen der inklusiven Bildung eine besondere Stellung einnehmen, sind laut Rückmeldung der Lehrkräfte überhaupt nicht barrierefrei.
Der VBE fordert, dass die Barrierefreiheit von Schulen bei entsprechenden Bau- und Sanierungsvorhaben unbedingt berücksichtigt wird. Die Sicherstellung der Barrierefreiheit muss zukünftig denselben Rang haben wie die Erfüllung von Brandschutzbestimmungen.
Unterrichten im Zwei-Pädagogen-System
Inklusion und Integration führen dazu, dass die Verschiedenheit und die damit verbundenen pädagogischen Herausforderungen in den Lerngruppen ständig zunehmen.
Der VBE fordert daher eine Doppelbesetzung aus zwei pädagogischen Fachkräften für den gesamten Unterricht. Kurzfristig muss es durch entsprechende Maßnahmen zur Personalgewinnung und -qualifizierung ermöglicht werden, zumindest stundenweise eine Doppelbesetzung zu erreichen. Um den notwendigen Umsetzungsdruck zu erreichen, muss die Doppelbesetzung auch schulrechtlich festgeschrieben werden.
Fortbildungsangebot und -qualität
Das Unterrichten in inklusiven Klassen stellt hohe Anforderungen an Lehrkräfte. Damit diese sich auf die pädagogischen Herausforderungen vorbereiten können, braucht es qualitativ hochwertige Fortbildungen. Die vom VBE in Auftrag gegebene forsa-Umfrage zeigt jedoch, dass ein Drittel der Lehrkräfte, die in inklusiven Lerngruppen unterrichten, keine adäquate Fortbildung erhalten hat.
Eine aktuelle Studie des Deutschen Vereins zur Förderung der Lehrerfortbildung (DVLfB) aus dem Sommer 2018 kommt zu dem Schluss, dass die Qualität von Lehrerfortbildung nicht im Fokus der Bildungsadministration steht. Deshalb entsprechen die gängigen Fortbildungsformate nicht den Kriterien nachhaltiger Qualifizierung mit einer Verbindung von Input-, Erprobungs- und Reflexionsphasen. Der DVLfB fordert deshalb gemeinsam mit dem VBE unter anderem Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung ein.
Der VBE fordert, dass jede Lehrkraft, die in inklusiven Lerngruppen unterrichtet, eine qualitativ hochwertige, nachhaltige Lehrerfortbildung innerhalb ihrer Dienstzeit erhält. Dafür braucht es gemeinsame Standards, optimal geeignete Formate, einen länderübergreifenden Austausch und die Möglichkeit der Freistellung während der Dienstzeit. Zur Umsetzung müssen die Schulen einen entsprechenden Stellenpuffer erhalten.
Multiprofessionelle Teams
Schule als Lern- und Lebensort im Allgemeinen und das Lehren und Lernen in inklusiven Lerngruppen im Besonderen stellen besondere Herausforderungen an die Lehrkräfte aber auch an die Schülerinnen und Schüler – mit und ohne Beeinträchtigungen. Deshalb ist es notwendig, dass Lehrkräfte durch weitere Professionen unterstützt und entlastet werden.
Der VBE fordert die Unterstützung von Lehrkräften durch multiprofessionelle Teams.
Zielsetzung multiprofessioneller Teams, deren Mitglieder und die Einbindung in ein Kompetenznetzwerk sind im VBE-Positionspapier von November 2016 beschrieben.
Medikation durch Schulgesundheitsfachkräfte
Immer mehr Kinder benötigen auch während ihres Schulalltags medizinische Assistenz zum Beispiel bei der Medikamentennahme. In einem Viertel der inklusiven Lerngruppen übernimmt diese Aufgabe die Lehrkraft – die hierfür weder angemessen ausgebildet, noch ausreichend vorbereitet noch entsprechend juristisch abgesichert ist.
Gemeinsam mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) fordert der VBE den flächendeckenden, bedarfsgerechten Einsatz von Schulgesundheitsfachkräften.