Politik unter Zugzwang: Schulwege sicherer gestalten!
Veröffentlichung einer Umfrage zur Mobilität von Schülerinnen und Schülern
Das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW), der ökologische Verkehrsclub VCD und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) haben heute eine Umfrage zum Thema „Sicherer Schulweg“ veröffentlicht. Dafür befragte das Politik- und Sozialforschungsinstitut forsa repräsentativ deutschlandweit 1.003 deutschsprachige Personen ab 18 Jahren nach Einschätzungen und Gründen, weshalb Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen, und danach, welche Maßnahmen dazu beitragen können, den Schulweg sicherer zu machen. Gefragt wurde auch, ob der Einbezug von Kindern in die Stadt- und Verkehrsplanung die Schulumgebung sicherer machen könnte. Die Veröffentlichung der Umfrage erfolgt in Vorbereitung auf die bundesweiten Aktionstage „Zu Fuß zur Schule und zum Kindergarten“, die vom 21. September bis 02. Oktober 2020 stattfinden.
Zu bequem? Zu einfach! Zwar schätzen mehr als zwei Drittel der Befragten (69 Prozent) ein, dass Eltern vor allem aus Bequemlichkeit Kinder mit dem Auto zum Kindergarten und zur Schule bringen, aber diese Argumentation greift zu kurz, wenn man sich die weiteren Gründe ansieht. So meinen 44 Prozent der Befragten, dass mit dem Bringen der Kinder mehrere Wege der Eltern verbunden werden. Dies geben 50 Prozent der Frauen (und nur 38 Prozent der Männer) und sogar 56 Prozent der Eltern an. Noch häufiger geben diese Antwort Personen zwischen 18 und 29 Jahren (62 Prozent) und zwischen 30 und 44 Jahren (59 Prozent) - also diejenigen, die tendenziell selbst zur aktuellen Generation von Eltern jüngerer Kinder gehören. Zusammen mit der Angst vor weiteren Gefahren – dass die Kinder beispielsweise Opfer einer Straftat werden (48 Prozent) – sind dies die Top-3-Gründe für das Bringen von Kindern.
Maßgeblich ist aber auch die Einschätzung, dass die Wege für die Kinder zu lang sind. Das sagen 32 Prozent der Befragten, 38 Prozent der Eltern und sogar 43 Prozent der 18- bis 29-Jährigen. Wenn dann auch noch öffentliche Verkehrsmittel fehlen, was jede dritte befragte Person (34 Prozent) sagt, hilft aber das Umsteigen auf das Rad oder das Laufen zu Fuß auch nicht immer. Denn 28 Prozent der Befragten geben an, dass es an sicheren Fuß- oder Radwegen mangelt – und sogar 36 Prozent der 30- bis 44-Jährigen. Zudem gibt es ein deutliches Gefälle zwischen den Antworten in Abhängigkeit von der Wohnortgröße. Fehlende Fuß- oder Radwege sind demnach nur für 15 Prozent der Befragten, die in Orten mit weniger als 5.000 Einwohnerinnen und Einwohnern leben, einer der Gründe, weshalb Eltern ihre Kinder lieber mit dem Auto bringen. In Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnerinnen und Einwohnern sagt dies mehr als jede dritte befragte Person (35 Prozent).
Fazit: Bequemlichkeit und das Verbinden mehrerer Wege sind nach Einschätzung der Befragten Topgründe für das Bringen von Kindern. Weil aber vielfach die Infrastruktur für sichere Schulwege zu Fuß, mit dem Rad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln fehlt, ist die Politik gefragt, gezielt alternative Fortbewegungsmöglichkeiten zu fördern und einzufordern.
Bei der Einschätzung zur Relevanz von Maßnahmen, durch die der Schulweg sicherer gestaltet werden kann, zeigen sich verschiedene Prioritäten. Zum einen wird darauf gesetzt, dass die Infrastruktur verbessert werden muss, indem sichere Überquerungsmöglichkeiten über Straßen geschaffen werden (77 Prozent halten das für sehr wichtig, 21 Prozent für wichtig). Zum anderen sollen Kinder besser vorbereitet werden, indem sie über Gefahren aufgeklärt werden und mehr Eigenständigkeit erlangen. 66 Prozent der Befragten finden das sehr wichtig, weitere 30 Prozent wichtig. Zudem sollen Kinder Radfahrunterricht in den Schulen erhalten (58 Prozent sehr wichtig, 33 Prozent wichtig).
Als weitere Säule für mehr Sicherheit auf dem Schulweg steht ganz klar der Schutz der Kinder durch Einschränkungen des Autoverkehrs. 89 Prozent der Befragten und sogar 94 Prozent der Eltern halten Tempo 30 in allen an Schulen angrenzenden Straßen für sehr wichtig oder wichtig, 74 Prozent sprechen sich für Halteverbote an Schulen aus (Eltern: 65 Prozent) und 58 Prozent alternativ für sogenannte Elternhaltestellen. Auch die Möglichkeit, Straßen bei Schulbeginn –und Schulende zu sperren („Schulstraßen“ nach österreichischem Vorbild) wird knapp mehrheitlich befürwortet (52 Prozent). Interessant ist, dass alle Maßnahmen, teilweise sehr deutlich, stärker von Frauen als von Männern als (sehr) wichtig eingeschätzt werden. Zudem zeigt sich dieser Effekt auch bei den über 60-Jährigen. Hier ist zu vermuten, dass diese von Verkehrsberuhigung und sicheren Haltezonen ebenfalls stark profitieren und sich sicherer fühlen würden.
Fazit: Der Schulweg muss für alle Kinder sicherer gestaltet werden. Dafür braucht es eine sichere Infrastruktur, die bessere Befähigung von Kindern, am Straßenverkehr teilzunehmen, und die Gestaltung einer sicheren Schulumgebung durch Tempo 30 und Halteverbote.
Zuletzt wurde nach einer Einschätzung gefragt, ob die Schulumgebung sicherer gestaltet werden könnte als bisher, wenn Kinder und Jugendliche aktiv in die Stadt- und Verkehrsplanung einbezogen würden. Dies denken 61 Prozent der Befragten. Deutlich abweichend befürworten dies 73 Prozent der 18- bis 29-Jährigen. Auch zwischen den Wohnortgrößen weichen die Antworten der Befragten stark ab. Je kleiner der Wohnort, desto weniger Auswirkung wird erwartet, je größer, desto deutlicher die Zustimmung.
Fazit: Mehrheitlich wird bei Einbezug von Kindern und Jugendlichen in die Stadt- und Verkehrsplanung erwartet, dass die Schulumgebung sicherer gestaltet werden könnte.
Das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW), der ökologische Verkehrsclub VCD und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) haben auf der Basis der Erkenntnisse ein gemeinsames Forderungspapier entwickelt, das Sie hier abrufen können.
Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, Holger Hofmann, betont: „Kinder haben eine gute Einschätzung davon, was sie für einen sicheren Weg zur Schule oder Kita brauchen. Es darf deshalb nicht stetig über ihre Köpfe hinweg entschieden werden. Ihre Ideen und Anregungen müssen in die entsprechenden Planungsprozesse einbezogen werden. Dafür sollten die einschlägigen Landesgesetze geändert werden. Gleichzeitig braucht es bei den Eltern ein besseres Verständnis dafür, dass sie ihren Kindern keinen Gefallen tun, wenn sie diese mit dem Auto zur Schule oder in die Kita bringen. Für die Orientierung im Raum, die körperliche Fitness und die persönliche Entwicklung ist die Bewegung zu Fuß, mit dem Roller oder mit dem Rad essenziell.“
Die Bundesvorsitzende des VCD, Kerstin Haarmann, sagt: „Die Umfrageergebnisse unterstreichen die Wichtigkeit sicherer Fuß- und Radwege. Außerdem sprechen sich neun von zehn Befragten für Tempo 30 im Umfeld von Schulen aus. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Kinder ja nicht nur unmittelbar um Schulen herum unterwegs sind. Wollen wir unsere Kinder wirklich schützen, brauchen wir nach Ansicht des VCD innerorts grundsätzlich Tempo 30 – so werden unsere Straßen auch für alle anderen sicherer. Zudem braucht es eine ehrliche Bestandsaufnahme der Eltern. Ist das Bringen mit dem Auto inklusive der Parkplatzsuche und dem Stau in der Rush Hour wirklich so zeitsparend, wie viele denken? Und: Wie viele andere Kinder werden durch das Parken vor dem Schultor gefährdet?“
Der Bundesvorsitzende des VBE, Udo Beckmann, erklärt dazu: „Durch das Bringen mit dem Auto entstehen gefährliche Situationen. Das wiederum führt die nächsten Eltern zu der Annahme, ihr Kind bringen zu müssen. So entsteht ein Teufelskreis. Entspannen könnten diese Lage Elternhaltestellen, die nicht direkt vor der Schule eingerichtet werden. So können kurze Wege allein oder mit den Eltern zurückgelegt werden. Die Umfrage zeigt, dass es für Halteverbote und diese Alternativen eine hohe Zustimmung gibt. Nun steht die Politik unter Zugzwang. Dass die Mobilitätserziehung einen höheren Stellenwert einnehmen soll, ist eine gute Erkenntnis, muss aber auch durch entsprechende Zeit in den Lehrplänen und Personalstellen gedeckt werden.“
Das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW), der ökologische Verkehrsclub VCD und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) rufen vom 21. September bis 02. Oktober 2020 Schulen und Kindertageseinrichtungen in ganz Deutschland zur Teilnahme an den Aktionstagen „Zu Fuß zur Schule und zum Kindergarten“ auf. Anmeldungen sind unter www.zu-fuss-zur-schule.de möglich. Auf der Webseite können auch Aktions- und Spielideen eingesehen, konkrete Tipps heruntergeladen sowie Materialien bestellt werden. Die Aktionstage stehen in diesem Jahr unter der Schirmherrschaft der Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Bildungsministerin Dr. Stefanie Hubig. Botschafterin der Aktionstage „Zu Fuß zur Schule und zum Kindergarten“ ist die Fernsehmoderatorin Enie van de Meiklokjes.
Das Deutsche Kinderhilfswerk e. V. setzt sich seit mehr als 45 Jahren für die Rechte von Kindern in Deutschland ein. Die Überwindung von Kinderarmut und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Angelegenheiten stehen im Mittelpunkt der Arbeit als Kinderrechtsorganisation. Der gemeinnützige Verein finanziert sich überwiegend aus privaten Spenden, dafür stehen seine Spendendosen an ca. 40.000 Standorten in Deutschland. Das Deutsche Kinderhilfswerk initiiert und unterstützt Maßnahmen und Projekte, die die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen, unabhängig von deren Herkunft oder Aufenthaltsstatus, fördern. Die politische Lobbyarbeit wirkt auf die vollständige Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland hin, insbesondere im Bereich der Mitbestimmung von Kindern, ihren Interessen bei Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen sowie der Überwindung von Kinderarmut und gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe aller Kinder in Deutschland.
Der ökologische Verkehrsclub VCD ist ein gemeinnütziger Umweltverband, der sich für eine umweltverträgliche, sichere und gesunde Mobilität einsetzt. Im Mittelpunkt steht dabei der Mensch mit seinen Bedürfnissen und Wünschen für ein mobiles Leben. Seit 1986 kämpft der VCD für ein gerechtes und zukunftsfähiges Miteinander zwischen allen Menschen auf der Straße – egal, ob sie zu Fuß, auf dem Rad, mit Bus und Bahn oder dem Auto unterwegs sind. Dafür arbeitet er vor Ort mit zwölf Landesverbänden und rund 140 Kreisverbänden und Ortsgruppen, bundesweit und europaweit vernetzt. Rund 55.000 Mitglieder, Spender und Aktivistinnen unterstützen die Arbeit des VCD für eine zukunftsfähige Mobilität.
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) vertritt als parteipolitisch unabhängige Gewerkschaft die Interessen von ca. 164.000 Pädagoginnen und Pädagogen – aus Kinderbereich, Primarstufe, Sekundarstufen I und II und dem Bereich der Lehrerbildung – in allen Bundesländern. Der VBE ist eine der beiden großen Lehrergewerkschaften in Deutschland und mitgliederstärkste Fachgewerkschaft im dbb Beamtenbund und Tarifunion. Unter dem Dach des dbb vertritt der VBE gleichermaßen die Interessen der verbeamteten und tariflich beschäftigten Mitglieder. Er setzt sich für die Stärkung des Lehrerberufs, eine an der Profession orientierte Lehrerbildung, die Anerkennung der Gleichwertigkeit der Lehrämter und eine gleiche Bezahlung für alle Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen ein. Er fordert für die Erzieherinnen und Erzieher eine Ausbildung an Fachhochschulen auf europäischem Niveau.